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Auf dem Kopf ist im Kopf. Das galt zumindest für das Hochrokoko. Damals - also in den dekadenten Jahren vor der Französischen Revolution - türmten sich die Frisuren in Schwindel erregende Höhen, und außergewöhnliche Motive schmückten sie. "La belle poule", das schöne Huhn, hieß etwa das 60 Zentimeter lange Schiff, das Marie Antoinette im Jahre 1777 auf dem Kopf trug. Es war nicht irgendein Schiff - es war eine französische Fregatte.

Der Glanz des beinahe einen halben Meter hohen Kriegsschiffes strahlte auf die Tochter Maria Theresias ab. Doch erst sie machte aus dem Drahtgestell ein begehrtes Objekt.

Marie Antoinette war eine wandelnde Repräsentantin für die Pracht der Aristokratie - und verkörperte sie wie kaum jemand sonst durch ihre Schwäche für den modischen Zuckerguss. Daran wird man derzeit anlässlich diverser Bälle erinnert.

Sie sind jene Festlichkeiten, bei denen sich aristokratische Äußerlichkeiten am beharrlichsten gehalten haben - allerdings in Kombination mit einem durch und durch bürgerlichen Wertekanon. Auf Bällen lebt das Repräsentationsdenken, das die Geschlechterhierarchien und dadurch die Mode des 19. Jahrhunderts bestimmt hat, weiter. Mode ist hier die unbestrittene Domäne der Frauen, in keine der vielen Illustrierten, die derzeit all die lieblich lächelnden Balldamen präsentieren, verirrt sich auch nur ein einziger Mann. Warum auch?

Demonstrativer Konsum

Die Herrenwelt trägt Frack oder Smoking, und an diesem staatstragenden Kostüm änderte sich im Laufe der Zeit bekanntlich wenig. Frauen ist auf Bällen dagegen eine andere Funktion zugedacht, gut strukturalistisch könnte man von ihnen als Signifikanten des Reichtums und der Position ihres Partners sprechen. Sie demonstrieren die ökonomische, soziale und kulturelle "distinction". Einer der ersten Modetheoretiker, Thorstein Veblen, hat das "demonstrativen Konsum" genannt und damit für die Mode des 18. und vor allem 19. Jahrhunderts den wohl prägnantesten Begriff geschaffen.

Es ist denn auch kein Zufall, dass das Ballkleid ganz eng mit der Haute Couture, der "Hohen Schneiderkunst", einer Erfindung des bürgerlichen 19. Jahrhunderts, verknüpft ist. Immer üppiger wurden damals die Roben, immer gefragter waren originelle Ideen. Sie lieferte ab Mitte des Jahrhunderts der Couturier, ein Schneider, der sich im Gefolge von Charles Frederick Worth - dem ersten Meister seines Fachs - zum Künstler stilisierte.

Ab diesem Zeitpunkt - also jenem, ab dem Handwerk zur Kunst erklärt wurde - war Modedesign Männersache. Frauen waren dazu da, die unbeweglichen und unbequemen Roben vorzuführen. Hauptsache ihre Pracht stand in einem direkt proportionalen Verhältnis zum gesellschaftlichen Gewicht des Gatten.

Solche klaren Zuweisungen gibt es heute natürlich nicht mehr, ja bereits im 19. Jahrhundert wurden sie durch das Aufkommen der Demimonde, die das modische Wertegefüge unterwanderte, verwischt. Damals griff das kokette Spiel mit modischen Konventionen um sich, ein Spiel, das heute erst recht en vogue ist und das die Bewahrer der strengen Ballregeln immer noch äußerst ungern sehen. (Was, bitte schön, wird Paris Hilton auf dem Opernball tragen?)

Die plastische Chirurgie formt den Menschen

Dieses Spiel ist allerdings nur möglich, weil sich - zumindest auf den Wiener Bällen - die Repräsentationsregeln ganz gut konserviert haben. Wessen Gattin welches Ballkleid von welchem Couturier trägt, das ist dem Boulevard allemal eine Meldung wert. Insofern hat sich seit dem vorvorigen Jahrhundert wenig getan. Oder doch?

Darauf würde nicht zuletzt die zunehmende Bedeutungslosigkeit der Haute Couture hinweisen. Ihre Funktion erfüllt heute, um ein bekanntes Bonmot des Designers Karl Lagerfeld aufzugreifen, die plastische Chirurgie. Sie formt den Menschen, wie es früher den Designern vorbehalten war. Der Blick schweift weniger auf das üppige Ballkleid als auf die wohlgeformten Formen, die darunter liegen. Der Körper hat die Mode als Schlachtfeld für Repräsentationen abgelöst.

Das exklusive Louis-Vuitton-Krokotäschchen um - sagen wir - 5000 Euro wiegt den unterm Chirurgenmesser oder im Fitnesspalast geformten Körper nicht auf. Insofern ist es bloß eine Frage der Zeit, bis Ballbesucher nur mehr ihre bloße Haut zu Markte tragen. Und sonst gar nichts. (Stephan Hilpold/Der Standard/Rondo/02/02/2007)