Bernie Rieder kocht nun im "Turm", und zwar so, dass man den Weg nur zu gern auf sich nimmt.

foto: wasserbauer

Fotos: Wasserbauer

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Über die Aussicht vom Arbeitsplatz hat sich Bernhard Rieder schon bisher nicht beklagen können: Blickte der Koch bislang vom Restaurant "Graf Hunyady" auf das idyllische Ensemble der Trabrennbahn im Wiener Prater, so liegt ihm nunmehr die Stadt zu Füßen. Sein neues Reich ist das einstige "Brunners" im obersten Stock des Immofinanz-Towers am Wienerberg, das nach Harald Brunners Ausgleich von einem Geschäftsmann übernommen wurde, der sein Büro im Haus hat. Im Hunyady folgte Werner Mantler (zuvor "Bordeaux") nach. Das stylistisch unveränderte Hochhaus-Restaurant heißt jetzt etwas linkisch, aber einprägsam "Das Turm", für Service und Weinkeller konnte Pablo Meier-Schomburg gewonnen werden, womit die Location am gastronomisch unterversorgten Südzipfel der Stadt über eine tolle Besetzung verfügt.

Der stets spitzbübisch grinsende Rieder darf als einer der wenigen wirklich kreativen Köche des Landes gelten. Im Hunyady holte er binnen zwei Jahren zwei Hauben und war für besonders spannendes, dem Geschmack (nicht dem Effekt) verpflichtetes Essen gut. Dass nur vergleichsweise wenige das kosten wollten, lag wohl hauptsächlich an der mühseligen und zwielichtigen Anfahrt ins Graf Hunyady, die über allerhand Gstätten und mitten durch den Praterstrich führt. Der Wienerberg liegt zwar auch nicht zentral, in den umliegenden Office-Towers sollte es jedoch genügend gut gepolsterte Freunde guten Essens geben, um "Das Turm" nunmehr dauerhaft zu etablieren - noch dazu, wo die Preise im Vergleich zum Vorgänger spürbar reduziert wurden - was sich aber keineswegs in der Auswahl edler Grundprodukte niederschlägt.

Eine mürbe, zart schmelzende Sulz vom gesurten Kalbsherz mit fantastisch aromatischen Kapern etwa wird auf Hummermayonnaise gebettet und mit einer gerade eben angewärmten Jakobsmuschel gepaart, die in einem Mäntelchen aus Lauch steckt und mit ordentlich Belugakaviar abgefüllt ist - eine Vorspeise von solchem Raffinement, dass man sich schon Sorgen macht, wie das zu toppen sein soll. Grundlos: Glasklare, dichte Ochsenschleppsuppe bekommt ein paar knackfrische, winzig klein geschnittene Wurzeln obendrauf, ein Raviolo mit würzig geschmortem Schlepp gefüllt und auf Bratensaft gebettet, mit 1a-Alba-Trüffel zugehobelt, bildet quasi die externe Einlage dazu - wow! In derselben Tonart geht es weiter. Flusskrebs-Erdäpfelgulasch im Chorizo-Fond ist ein virtuoser Seilakt, bei dem die zarten Süßwasser-Tierchen zwar nominell keine Chance gegen die Macht der paprizierten Wurst haben, sich über den Fond, dem ganz offensichtlich die Krebs-Karkassen Kraft geben, aber raffiniert auf den Gaumen zurückspielen.

Klar, dass bei solchem Wagemut auch mal etwas nicht ganz so aufgehen kann und etwa die Mandel-Eiscreme zum dekonstruierten Eiskaffee so überkonzentriert gerät, dass sie keinen Spaß mehr macht - aber wer lieber auf der sicheren Seite diniert, der wird ohnehin ganz andere Adressen ansteuern. (Severin Corti/Der Standard/rondo/26/1/2007)