Alles blüht, die Wiesen sprießen, und der Himmel ist himmelblau. Schenkt man den Architekturfotografen, Fertigteilhaus-Katalogen und Werbebroschüren von Immobilienunternehmen Glauben, so herrscht in Österreich der ewige Sommer. Nicht selten werden potenzielle Kunden und Bauherren an der Nase herumgeführt, nicht selten werden ihnen schmucke Konzepte verkauft, die oft nicht viel länger währen als gerade einmal sechs Monate im Jahr.
Die Realität sieht anders aus. Was Architekten als Silbergrau, Seidengrau, Schiefergrau, Anthrazit und Architektenschwarz verkaufen, trägt in den Wintermonaten zur perfekten Stadtdepression bei. Unter wolkenverhangenem Himmel und im tiefen Dunst winterlichen Nebels verlieren die aufgeschwatzten Konzepte rasch an Farbe. "Wenn Architektur über eine Sprache verfügt, so wird diese offensichtlich von der breiten Masse nicht verstanden", schreibt der deutsche Architekt Holger Pump-Uhlmann in einem Essay über Architekturkritik, "muss man Architektur erst lernen, um sie zu begreifen und mit ihr leben zu können?"
Der Architekt als Psychologe
Aus diesem Grund etablierte sich vor einigen Jahren die neue Sparte der so genannten Architekturpsychologie. Sie befasst sich mit der Wirkung bebauter Umwelt sowie mit dem Erleben und Verhalten des Menschen. "Manche Architekten fühlen sich in ihrem künstlerischen Ausdruck bedroht, sobald von einem Architekturpsychologen die Rede ist", erklärt Diplompsychologe Ralf Zeuge, der in Leipzig das Unternehmen PsySolution leitet, "das liegt auch am Umstand, dass sich viele Architekten selbst als Psychologen verstehen." Doch Zeuge beschwichtigt: Die diesbezügliche Sensibilität und Kooperationsbereitschaft seitens der Architekten sei im stetigen Wachsen begriffen.
"Wenn man von Architekturpsychologie spricht, dann meint man zu einem großen Teil die Psychologie der Farben", sagt Bettina Wanschura. Gemeinsam mit Kollegen betreibt sie in Wien das auf Planungs- und Kommunikationsaufgaben spezialisierte Büro PlanSinn. "Man möchte meinen, dass die Farbe der Straße wenig Spielraum zulässt", so Wanschura, "doch bei genauerer Betrachtung ergeben sich gerade in der Stadt ungeahnte Möglichkeiten zur visuellen Belebung."
Die Stadt als Leinwand
Als Beispiel nennt sie die Belebung der Erdgeschoßzonen, den Umgang mit künstlichem Licht und die Materialität der Straßenbeläge. Während man in Wien auf grauen und schwarzen Asphalt setzt, wird in den Niederlanden beispielsweise rötlicher Klinker auf den Gehsteigen eingesetzt. Dadurch entstehen andere Farben und Strukturen.
Einen Farbimpuls, der in dieser chromatischen Dichte nur selten anzutreffen ist, findet sich im neuen Freiraumkonzept der Wiedner Hauptstraße. Bettina Götz und Richard Manahl vom Architekturbüro Artec, die als Gewinner aus einem Wettbewerb hervorgegangen waren, griffen mutig in den Farbkübel und setzten in ihrer Gestaltung knalliges Rot ein. In das komplexe Umbauprojekt der Wiedner Hauptstraße flossen übrigens die Ergebnisse eines Bürgerbeteiligungsverfahrens ein, die Gesamtbaukosten betrugen 9,24 Millionen Euro.
Orange bevorzugt
Die Wiener Architektin Margarethe Cufer hat in farblicher Hinsicht ähnliche Prinzipien, wenngleich ihre Maßnahmen im Vergleich zu einer herkömmlichen Lösung mit keinerlei Mehrkosten verbunden sind. Ihre Bauwerke werden von Anfang an in Farbe konzipiert, vorzugsweise in Orange. "Ich bin fest davon überzeugt, dass das in Wien mit den Schlechtwetterphasen zusammenhängt. Ein graues Gebäude im Winter mag zwar architektonisch – sagen wir einmal – spannend sein, aber dem Großteil der Bevölkerung ist es einfach zu trist. Da kann man sagen, was man will."