Die Saison beginnt unspektakulär - in Wirklichkeit wie im Spiel. Der Ski-Weltcup startet traditionell mit einem Riesentorlauf im Hochtal von Sölden, auf einer engen Kunstschneepiste, eingerahmt von zwei Schleppliften. Es ist ein leichter Kurs, ohne Sprünge, Ecken und Kanten, weil im Spätherbst in den Alpen noch wenig Schnee liegt und auch anderswo der Winter gerade erst beginnt. Nun ist das Computerspiel " Ski Alpin Racing 2007 " derartigen meteorologischen Zwängen eigentlich nicht unterworfen - ohne Probleme hätten die Programmierer den virtuellen Skirennfahrern digitale Tiefschneemassen bereitstellen können, doch das Spiel bleibt dem Rennkalender treu, und der beginnt eben in Sölden, im Herbst, auf Kunstschnee. Realismus kann manchmal auch ein bisschen langweilig sein. Erst im weiteren Saisonverlauf warten dann die Kitzbüheler Streif, der Tannenbaum-Tunnel der Kandahar-Abfahrt in Garmisch und die Felsspitzen der Rocky Mountains.

Bode Miller vs. Hermann Maier

Andererseits: In der Realität fallen zurzeit die Skirennen und Snowboard-Events meist wegen Schneemangels aus. In der Anfangssequenz von "Ski Alpin Racing 2007: Bode Miller vs. Hermann Maier" sieht man die beiden alpinen Helden den Hang hinunterrasen, halb versteckt im Schneestaub und mit zitternden Oberschenkeln. Mit der Videoanimation nimmt der reale Athlet den Computerspieler an die Hand, führt ihn an die heiligen Stätten seines Sports - Beever Creek, Val d'Isère und die Kitzbüheler Streif.

Bliebtes

"Ski Alpin Racing" ist seit Jahren das beliebteste Ski-Rennspiel - und dieses Jahr vielleicht auch für Nichtspieler interessant: Die Flucht in die Virtualität ist eine Möglichkeit, den akuten Schneemangel in den Alpen und die Entzugserscheinungen zu kompensieren. Im Spiel-Menü kann man sogar das Wetter kontrollieren. In einer Pull-down-Leiste klickt man einfach auf "Schwerer Schneefall". Wenn es doch nur immer so einfach wäre.

Wintersport ist eine kleine Nische im großen Sportsimulationsmarkt. Zwar gab es bereits in den frühen 1990er-Jahren mit dem Spiel "Winter Olympics" einen legendären PC-Klassiker, sonst aber meidet die Branche den Werkstoff Schnee. Das mag vielleicht daran liegen, dass man in einer vollkommen weißen Winter-Welt nur schwer Kontraste auf dem Bildschirm darstellen kann. Die Ziele für digitale Winterferien sind jedenfalls überschaubar. Der "Ski Racing"-Hersteller JoWood hat angekündigt, im Februar das Spiel "Freekout: Extreme Freeride" auf den Markt zu bringen, in dem der virtuelle Skiläufer nicht mehr durch Stangen und Zieltore steuern muss, sondern "Sprünge über tiefe Abgründe, Choreografien in gefährlichen Lawinenhängen oder Slalom zwischen den Bäumen mit hoher Geschwindigkeit" hinlegen kann. In der Online-Welt "Second Life", die von zwei Millionen Spielern bevölkert wird, gibt es seit Kurzem die Destination "Wengen" - einen digitalen Nachbau des Skiorts. Dort liegt dann zwar immer Schnee. Der Nachteil: Um dort fahren zu dürfen, muss man einen Liftpass und Hotelzimmer bei dem Betreiber erstehen.

"Alpine Surfer"

Vielleicht weil Playstation und Snowboard in vielen Jugendzimmern nebeneinander an der Wand stehen, gibt es für Snowboard-Simulationen ein breiteres Angebot. In vielen Spielhallen steht der Automat "Alpine Surfer". Hier steuert man den Snowboarder nicht mit einem Joystick, sondern steigt selbst auf ein kleines Plastikbrett und kontrolliert die Spielfigur mit den Körperbewegungen und Gewichtsverlagerung. Für die Xbox 360 gibt es die gelungene Freestyle-Simulation "Amped 3" - das Spiel begeistert mit fotorealistischen Bergszenarien, liebevoll animierten Figuren und viel Pixel-Pulverschnee. Electronic Arts hat angekündigt, in Kürze den neuesten Titel der Konkurrenzserie "SSX" zu veröffentlichen. "SSX Blow" orientiert sich nicht am realen Sport-Vorbild, sondern an Cartoons und Mangas. Schwerkraft und Rationalität sind außer Kraft gesetzt: Die Boarder zeigen fünffache Saltos, sind bei dem Ritt durch hüfthohen Tiefschnee und bei gelungenen Tricks manchmal von Elfenstaub umflort. Das Spiel soll für die neue Nintendo-Konsole "Wii" erscheinen. Sie begeistert die Videospielszene mit neuartigen Controllern, die mit Sensoren ausgestattet sind. Man muss sich bewegen, um seine Figur zu bewegen. Vielleicht wird dann Video-Spielen tatsächlich zum ernst zu nehmenden Sportersatz.

Das Fenster zur Welt

Wenn der Fernseher das Fenster zur Welt ist, dann ist das Videospiel eine Tür, durch die der Spieler gehen kann, um dem Alltag zu entfliehen. Die amerikanische Videospielkritikerin J. C. Herz prägte hierfür einmal den Begriff des "virtuellen Tourismus" und schrieb: "Manche Spiele bringen dich in eine Welt, in der du tatsächlich gerne sein möchtest, wenn du das Geld und die Zeit dafür hättest. Es sind Fluchtdestinationen." Besonders wirksam ist dieser Effekt bei Sportspielen wie bei Ski- oder Snowboard-Rennspielen, in welchen die Spielfeldoberfläche im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Dank moderner Speichermedien und Grafikchips ist die Darstellung der verschneiten Berge in Spielen wie "Amped 3" wirklich realistisch. Und doch hat man kaum Zeit, auf die visuelle Dekoration zu achten; zu schnell flitzt das Auge durch Kurven und Kreisel der Abfahrt, zu sehr muss man sich auf die richtigen Tastenkombinationen konzentrieren, das Ziehen und Reißen am Joystick, Knopf A und Knopf B, die Kantendruck und Beschleunigung steuern. Wahrscheinlich sind ja auch Wintersporthelden wie Bode Miller oder der Snowboard-Star Shaun White während des Wettkampfes zu beschäftigt, um auf das Alpen-Panorama zu achten. (Tobias Moorstedt Q, DERSTANDARD Printausgabe, 26. Jänner 2007)