Wien - Auch unter Choreographen gibt es umsorgte und verhätschelte Glückskinder. Meg Stuart ist so ein Fall. Die Amerikanerin und ihre Brüsseler Kompanie Damaged Goods wurden in den letzten Jahren regelmäßig von den Wiener Festwochen präsentiert. Auf Einladung von Hortensia Völckers standen der "Artist in Residence" heuer sogar für drei Monate die Emballagenhallen in der Brigittenau als Bewegungslabor zur Verfügung. Also ausreichend Zeit, um an Highway 101 - einem Langzeitprojekt, das von Brüssel über Wien, Paris, Rotterdam und Zürich wieder in Brüssel enden wird - zu arbeiten. Das fertige Wiener "Teilstück" ist bis 19. Juli im Rahmen von tanz2000.at (jeweils 21.00 Uhr) zu besichtigen. Man kennt in Meg Stuart die Bewegungsanalytikerin, die mit sezierendem Blick menschliche Desaster an die Oberfläche bringt. Fast alle ihre Werke handeln von einsamen, isolierten Kreaturen. Anders als in den Bühnenstücken spielt jetzt die Architektur eine besondere Rolle. Der Video-Künstler Jorge Leon und der Regisseur Stefan Pucher haben kräftige Spuren hinterlassen. Als Zuschauer nimmt man an einem "geführten", 80-minütigen Rundgang teil. Vom Hof aus, durch eine Glasscheibe hindurch, ist eine riesige Videowand zu sehen: Eine Frau erzählt ungeniert aus ihrem Privatleben. Weiter geht es in ein riesiges Wohnzimmer voll vergammelter Sitzlandschaften. Aus den einzelnen Sitzgruppen lösen sich die Performer, wechseln ihren Platz, überschreiten die Distanz zum Betrachter, sind fast schon hautnah zu spüren. Im nächsten Raum wird man dann in ein gruppendynamisches "Stop and Go"-Spiel involviert und zur nächsten Station gelotst. Dort sitzt Meg Stuart persönlich, lässt sich filmen, kommentiert das jeglichen Makel bemerkende Kameraauge, amüsiert sich darüber und gibt auch ihr momentanes Unbehagen zu. Was ist privat, was für die Öffentlichkeit bestimmt? Fragen, die sich wie eine Markierungslinie durch den Highway 101 ziehen. Zum Effektvollsten gehört die Endphase. Auf zwei Ebenen, hinter Tür- und Fensteröffnungen bewegen sich die Tänzer. In rasendem Tempo tauchen sie auf, verschwinden wieder, schlagen unaufhörlich um sich. Was sie wirklich quält, lässt sich jedoch nicht orten. Mittlerweile hat sich einer der Akteure im Hof platziert, schildert seine Wiener Begegnungen, klettert den Lichtmast empor und verschwindet hinterm Zaun. Die Tour ist zu Ende, wer will, kann sich in die täglich anders besetzte DJ-Party werfen und weitere in den letzten Wochen aufgenommene "Home-Videos" anschauen. Wer ausharrt, erfährt dann vielleicht, was "work in progress" heißt. Ursula Kneiss