Vom Bürosessel aus lässt sich via Webcam die Schneelage überprüfen.

Foto: baqueira.es
Man erfasst es auf den ersten Blick: fünfzehn Zentimeter nur! Rast man hingegen auf satte 2500 Pyrenäen-Höhenmeter hinauf, so können die Pisten von Baqueira immerhin noch ein paar Wurstfinger-Breiten an Schnee zulegen. Doch Leute tummeln sich trotzdem kaum auf der spanischen Piste - das können sogar Bürosessel-Kombinierer vom Schreibtisch aus sehen. Per Webcam .

Notfalls nimmt man auch ein "Nur-fast-Billigflieger-Ticket" und vertraut bei der Abreise darauf, dass die Region Baqueira-Beret ein langjähriger Garant für Schneesicherheit geblieben ist - und genießt, vor Ort angekommen, das herrliche Panorama der Katalanischen Pyrenäen. Es beinhaltet mit etwas Glück, neben zackig weißen Gipfeln, vielleicht sogar die Sichtung der Geheimratsecken des spanischen Königs, der seit Jahren den Oberstammgast der Gegend gibt. Was Skifahren in Baqueira-Beret und generell in den Pyrenäen sonst noch alles adelt: Serranoschinken statt bloßer Pistensäue. Ferner der längst überfällige Beweis, dass man wesentliche Pyrenäen-Passagen des boomenden Jakobsweges per Sessellift absolvieren kann. Und natürlich eine Rustikalität, die man auch ohne erhöhten Obstler-Pegel verdauen kann.

Aber alles der Reihe nach. Baqueira-Beret liegt 340 Kilometer nordwestlich von Barcelona entfernt, 166 von Toulouse und ein paar Eiszapfenlängen von der französischen Grenze - immerhin war das Val d'Aran bis zum Bau des Vielha-Tunnels während der Wintermonate von Spanien aus nicht erreichbar. Trotzdem bietet sich Barcelona heute als perfektes Gateway an. Wer sich dort mit Après-Ski-Mode eingekleidet und dann per Standseilbahn auf den garantiert aperen Hausberg Montjuic hochgeschaukelt hat, kann auf dem Weg nach Baqueira-Beret gleich bei näher gelegenen Wintersportorten hereinschneien.

Trend-Cocktail

Morgens Pulverschnee, nächtens Cocktailparty - so sieht das touristische Doppelpack aus, das der katalanischen Trendcity einen unerwarteten Mehrwert beschert. La Molina und Masella, zwei Skigebiete in Barcelonas Hinterland bieten sich dafür an - allerdings nicht erst seit gestern. Hier wurde 1943 der erste Skilift Spaniens eröffnet, die ersten Skirennen fanden in Molina bereits 1908 statt.

Dass Juan Carlos und diverse Infanten trotzdem lieber im etwas entfernteren Skigebiet Baqueira in den Schnee greifen, hat freilich plausible Gründe. Über 100 Pistenkilometer, die sich gemeinsam mit den angrenzenden Gebieten Beret und Bonaigua zu einer Skischaukel zusammengeschlossen haben, hervorragende Möglichkeiten zum Tiefschneefahren, die übliche Halfpipe- und Sprungschanzen-Nachrüstung für Snowboarder und Gipfel bis 2510 Meter erlauben hier eine, mitunter bis in den Mai hineinreichende Wedel-Fiesta, wobei die nördliche Ausrichtung der Hänge generell für gute Schneeverhältnisse sorgt.

Die winterlich verzauberten Pyrenäen auf ein wenig Wedeln plus Schusshocke zu reduzieren, wäre dennoch pures Understatement. Allein die Nähe zum Maladeta-Massiv, das mit dem 3404 Meter hohem Pico Aneto den höchsten Gipfel der Pyrenäen beherbergt, verleiht Spaniens größtem Skigebiet besondere Akzente. Doch auch die regionale Kulinarik vermag einem hier Berge zu geben - zumal diese, der Grenzregion entsprechend, zwischen aranesischer Kochtradition und der traditionellen Gastronomie der weiter nördlich angrenzenden Gascogne angesiedelt ist. Mit Tapas und Rioja, die ja allein schon das Einkehren in diverse Après- Ski-Tränken rechtfertigen könnten, wird man in den spanischen Pyrenäen nämlich keineswegs abgefertigt. Das beweist der regionale Eintopf Olla Aranesa, ebenso wie lokale Crêpes-Variationen (Pescajus de Crema) oder das erst recht ernst zu nehmende Wildschwein-Gericht Civet de Jabali - ein mittelalterliches Rezept, bei dem viel Blut, Wein und geröstete Zwiebel Schwung für zusätzliche Abfahrten verleihen.

Aranesen-Gröstl

Die Dörfer, die sich über das stark von Frankreich geprägte Val d'Aran verteilen, halten ohnedies, was das Pyrenäen-Gröstl verspricht: Sie verströmen jene archaische Wucht, die man sich von einem, bis in die 20er-Jahre vom Rest der Pyrenäen isoliertem Tal auch erwartet. Eine eigene Sprache, das als offizielle Amtssprache gelistete Aranesische, hat sich dabei erhalten. Und wer am Ufer der hier entspringenden, nach Frankreich abfließenden Garona die kleinen Dörfer Bossost, Salardu oder Escunhau besucht oder aber die mit viel mittelalterlichem Flair ausgestattete Hauptstadt Vielha, der wandelt dabei auf den Spuren alter, bis auf römische Besiedelung zurückreichender Bautraditionen - die neuerdings um einen Eispalast erweitert wurden.

Das vielleicht Beste daran: Mit dem Skigebiet von Baquira-Beret in der Nordwest- Ecke Katalaniens und den umliegenden Attraktionen ist erst die Spitze des winterlich vereisten Pyrenäen-Gebirges aufgetan. Insgesamt sechzehn Skistationen verteilen sich über die Katalanischen und die weiter westlich gelegenen aragonesischen Pyrenäen.

In der Station Espot Esquí wedelt man unmittelbar zwischen Pinienwäldern. Doch auch der Blick weiter nach Westen lohnt. Hier lassen sich, umgeben von 60 (!) imposanten Dreitausendern, weitere Pisten ausmachen: Der Tiefschnee-Geheimtipp Cerler liegt mitten im Tal von Benasque, und ist mit 1560 Meter Seehöhe der höchste Skiort der aragonesischen Pyrenäen. Nicht zu vergessen: Südeuropas größtes Skigebiet, die länderübergreifende Region Andorra - Grand Valira. Fast 200 Pistenkilometer bietet sie, aber auch den systematischen Wahnsinn eines Spaß-Milieus: Iglubau-Workshop, Skimotorradverleih, Heli-Rundflüge - alles da. Und vielleicht sogar Paella plus Pommes. (Robert Haidinger/Der Standard/Printausgabe/20./21.1.2007)