Zur Person
Anne Koark ist gebürtige Engländerin, seit 1985 lebt sie in Deutschland. Die Linguistin (Germanistik, Romanistik) ist seit 1996 selbstständig, 2003 musste sie mit ihrer Frauenfirma "Trust in Business" Insolvenz anmelden. Koark ist allein erziehende Mutter von zwei Kindern

Foto: Koark
Vom "Mut zum Risiko" ist oft die Rede, wenn es darum geht, junge Menschen zur Selbstständigkeit zu bewegen. Dass Risiko aber auch die Möglichkeit des Scheiterns impliziert, wird meist verschwiegen. Erfolgsgeschichten liest man oft - Porträts von insolventen Firmen hingegen nie. Kein Wunder, sagt Anne Koark im Gespräch mit Maria Sterkl: In deutschsprachigen Ländern sei Insolvenz ein Tabu, im Fall eines Scheiterns werde "erst einmal gefragt, wer daran schuld ist". Koark spricht aus Erfahrung: Die Engländerin hat selbst in Deutschland ein Unternehmen in die Insolvenz geführt. Mit ihrem autobiografischen Buch "Insolvent und trotzdem erfolgreich" war Koark sieben Monate lang auf der Wirtschaftsbestsellerliste des deutschen Buchreports vertreten.

derStandard.at: Wie kamen Sie auf die Idee, Ihre Insolvenz in einem Buch zu verwerten?

Koark: Jemand machte mir diesen Vorschlag, und ich hielt ihn zuerst für verrückt. Aber jeder selbstständige Mensch ist ja ein Workaholic, und da ich von heute auf morgen gar nichts mehr zu tun hatte, dachte ich, es wäre doch einen Versuch wert.

derStandard.at: Wie konnten Sie den Verlag überzeugen, dass das eine gute Idee ist?

Koark: Ich wandte mich an mehrere Verlage und schrieb ihnen sinngemäß: "J.K. Rowling war arbeitslos, als Bloomsbury 'Harry Potter' herausbrachte. Ich bin mittellos. Ist ein deutscher Verlag genauso mutig?" Und dann schrieb ein Verlag zurück und sagte ja.

derStandard.at: Womit hatten Sie sich selbstständig gemacht?

Koark: Ich betreute ausländische Firmen beim Aufbau deutscher Niederlassungen, erst als Einzelunternehmerin, dann mit der Frauenfirma "Trust in Business". Wir stellten den ausländischen Firmen alle Dienstleistungen zur Verfügung, sprich Buchhaltung, PR, Marketing, Standortsuche, Eventmanagement.

derStandard.at: Wie lief das Geschäft?

Koark: Sehr gut, wir wuchsen schnell. In der besten Zeit beschäftigte ich fünfzehn Mitarbeiterinnen. 2001 wurden wir mit dem Existenzgründerpreis der Internetzeitschrift breakeven.de für den gesamten deutschsprachigen Raum ausgezeichnet.

derStandard.at: Wann kam das Unternehmen erstmals in Schwierigkeiten?

Koark: Auf Wunsch eines Kunden begannen wir mit einem zusätzlichen Service: Ich mietete Büros an, wo sich unsere Kunden einmieten konnten. Das ist sehr gut gelaufen, wir hatten vier Mal so viele Aufträge, wie wir Platz hatten. Also nahmen wir noch mehr Mietfläche dazu - und dann kam der 11. September 2001. Spürbar weniger ausländische Firmen kamen nach Deutschland. Wir hatten zwar immer noch genügend Dienstleistungsaufträge, aber leer stehende Büroflächen. Gleichzeitig gingen drei meiner Kunden kurz hintereinander pleite und bezahlten ihre Rechnungen nicht. Da ging es uns finanziell dann schon nicht mehr gut.

derStandard.at: Wie ging es dann weiter?

Koark: Ein Investor wollte 51 Prozent der Firmenanteile haben. Er begann mit einer wochenlangen Due Diligence Prüfungsphase, während der ich mich entscheiden musste: Mache ich mit der Firma weiter, in der Hoffnung, aufgekauft zu werden, oder melde ich gleich Insolvenz an?

Ich sprach dann mit den Lieferanten, erklärte ihnen, dass meine Firma in großen finanziellen Problemen steckt. Sie sagten zu, mit mir gemeinsam auf die Übernahme zu spekulieren. Gleichzeitig führte ich Kostensenkungsmaßnahmen durch, trennte mich von einigen Freiberuflerinnen, beauftragte einen Sanierer und bat die übrigen sieben Mitarbeiterinnen, nachzusehen, ob ich irgendetwas übersehen hätte. Und, was unglaublich war: Sie schlugen mir unaufgefordert einen freiwilligen Gehaltsverzicht vor.

derStandard.at: Warum zog sich der Investor dann zurück?

Koark: Am Tag nach dem Beginn des Irakkriegs sagt er mir ab, mit der Begründung, angesichts des Kriegs würde das Auslandsgeschäft nun ewig brauchen, um sich zu erholen.

derStandard.at: Und dann meldeten Sie die Insolvenz an.

Koark: Ja, aber erst einmal musste ich herausfinden, wie das überhaupt geht. Jede Schuldnerberatung hat mich abgelehnt, weil sie Selbstständige nicht betreut. Im Internet findet man ja tonnenweise nicht integre Angebote - so nach dem Motto "Schicken Sie mir 5000 Euro, und ich erledige das für Sie". Also nahm ich mir einen Anwalt. Der wollte auf Anhieb 2000 Euro von mir. Ich war also in einer paradoxen Situation: Ich musste Geld sammeln, um in Erfahrung zu bringen, wie man anmeldet, dass man keines hat.

derStandard.at: Wie hoch waren Ihre Schulden zu diesem Zeitpunkt?

Koark: 160.000 Euro.

derStandard.at: Was war Ihre Reaktion, als Sie das erste Mal mit der Aussicht auf eine Insolvenz konfrontiert waren?

Koark: Erst einmal habe ich gezittert. Weil ich wusste, dass ich alles verlieren würde, dass sechs Jahre lang jede Entscheidung, die ich treffe, überwacht werden würde.

derStandard.at: Auch private Entscheidungen?

Koark: Ja, alles, was mit Geld zu tun hat. Die Bankkonten wurden alle geschlossen. Während die Mitarbeiter ihre Löhne vom Arbeitsamt bekamen, hatte ich selbst viereinhalb Monate lang gar kein Geld. Ich konnte in dieser Zeit meine Krankenversicherung nicht bezahlen. Trotzdem arbeitete ich drei Monate lang weiter, um dem Insolvenzverwalter bei der Abwicklung der Firma zu helfen.

derStandard.at: Wovon lebten Sie damals?

Koark: Ich bekam viel Unterstützung – auch von meinen Gläubigern. Dadurch, dass ich sie von Anfang an eingeweiht hatte, blieb wohl der Respekt gewahrt. Andere Menschen brachten mir Gemüse aus ihren Schrebergärten oder schickten mir 50 Euro-Scheine per Post, ohne Absender.

derStandard.at: Hatten Sie eigene Rücklagen, die Sie auflösen konnten?

Koark: Nein, nichts: Meine Wohnung ist verkauft worden, meine private Altersvorsorge wurde aufgelöst, alles ist in die Insolvenzmasse geflossen.

derStandard.at: Wo wohnten Sie dann?

Koark: Ich musste mir eine Mietwohnung suchen, was nicht einfach war – in München steht auf jeder Selbstauskunft: "Hiermit bestätige ich, dass ich nicht insolvent bin." Ich habe den Vermietern aber erzählt, dass ich insolvent bin, und ich hatte Glück, nach acht Wochen einen Vermieter zu finden, der mir genug Vertrauen geschenkt hat.

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derStandard.at: Was bezeichnen Sie rückblickend als unternehmerischen Fehler?

Koark: Einer meiner größten Fehler war, dass ich einen Mietvertrag mit extrem langer Kündigungsfrist unterschrieben habe.

derStandard.at: Warum haben Sie nicht an "unternehmensfremde" Firmen oder an Private weitervermietet?

Koark: Das haben wir versucht. Aber das Problem war, dass um uns herum in der Zwischenzeit 53.000 Quadratmeter neue Büroflächen gebaut worden waren. Und die wurden zu vier Euro weniger pro Quadratmeter angeboten. Da konnte ich nicht mithalten.

derStandard.at: Sie waren mit Ihrem Unternehmen in den Medien präsent. Wie ging die Presse mit Ihrer Insolvenz um?

Koark: Als meine Firma abgewickelt wurde, dachte ich: "Jetzt wird die Presse mich platt machen, weil sie mich so hochgejubelt haben." Da ich wusste, dass das passieren würde, wollte ich mir den Zeitpunkt dafür selber aussuchen. Ich habe einen Artikel zum Thema Insolvenz geschrieben, den ich an 728 Journalisten geschickt habe.

derStandard.at: Wie waren die Reaktionen?

Koark: Am selben Tag hat Wall Street Online diesen Artikel veröffentlicht. Daraufhin bekam ich 1200 Briefe – von Menschen, die sich dafür bedankten, dass ich mich mit diesem Thema oute.

derStandard.at: Warum "outen"?

Koark: Sie meinten, das Thema sei so hoch tabuisiert, da man ja immer als Kriminelle abgestempelt wird, wenn man insolvent ist. Ich bekam auch oft Anfrufe von Hinterbliebenen – deren Partner sich nach der Insolvenz umgebracht hatten.

derStandard.at: Warum ist das so?

Koark: Ich glaube, dass man in der deutschsprachigen Welt schlecht mit dem Scheitern an sich umgeht. In England sagt man: "Okay, du bist hingefallen – steh auf, bürste dich ab und geh weiter." Hier beschäftigt man sich viel mehr mit der Schuldfrage als mit dem Lerneffekt.

derStandard.at: Sie setzen sich für eine niedrigere Pfändungsquote ein - heißt das nicht, dass die Gläubiger schlechter geschützt sind?

Koark: Nein. Wenn ich den Menschen alles wegnehme, was Sie verdienen, fragen sie sich bald, warum sie überhaupt arbeiten sollen. Wenn man ihnen aber nur - wie in vielen Ländern üblich - sechzig Prozent nimmt, haben sie einen Anreiz, mehr zu verdienen. Und das nützt auch den Gläubigern. In Deutschland und Österreich pfändet man bis zur Schmerzgrenze und verhindert dadurch neue Betriebsgründungen. Dadurch schadet man aber der Wirtschaft insgesamt.

derStandard.at: Was würden Sie einem/einer UnternehmerIn raten, der/die in die Insolvenz geschlittert ist?

Koark: Die Menschen identifizieren sich zu stark mit dem Beruf. Wenn man dann den Beruf verliert, ist man nichts. Für mich ist es wichtig, zu fragen: Was hat man nicht verloren? Zum Beispiel seine Ehre, seine Kampfkraft, den Arbeitswillen, das Lachen. Diese Dinge werden nicht gepfändet, also braucht man sie nicht freiwillig abzugeben. (derStandard.at, 12.2.2007)