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Pierce Brosnan beim Maßnehmen: Wer nicht als gescheiterter Internetpionier verdächtigt werden will, hüllt sich wieder in strenge Klassik - auch am Freitag.

Foto: Apa
Die Konjunktur lässt sich daraus frei nach George Taylor interpretieren.
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Ein prüfender Blick auf das Schnittmuster, und schon lässt er den kobaltblauen Stoff wieder durch seine flinken Finger rasseln. Anthony Giliberto ist Herrenausstatter aus Leidenschaft. Von seinem Vater hat der 50-Jährige dereinst das Schneiderhandwerk gelernt, und von ihm hat er auch den Laden im New Yorker Garment District übernommen. "Ich habe nur einmal an meiner Berufswahl gezweifelt", erzählt er. "Das war in den 90ern, als alle es den jungen Internetpionieren nachtaten und auf legere Kleidung setzten."

Offenbar wurden die edlen Dreiteiler aber zu schnell in die Mottenkiste verbannt, denn die Modemacher feiern die Rückkehr zur Eleganz: Schon 2005 wurden in den Vereinigten Staaten Anzüge im Wert von 5,1 Mrd. Dollar verkauft, gut zehn Prozent mehr als im Jahr davor. Giliberto ist jetzt so dick im Geschäft wie noch nie.

So symbolträchtig der Trend hin zum Konventionellen in Washington sein mag, die Experten sind sich einig: Die Vorreiter der neuen Kleiderrevolution sitzen in New York, genauer gesagt an der Wall Street.

Der Trendspotter David Wolfe hat beobachtet, dass die dortigen Investmentbanker und Broker wieder Eindruck durch Garderobe erwecken wollen. Das hat seiner Ansicht nach wirtschaftliche Gründe. "Die fetten Jahre sind vorbei" sagt er, "jetzt spielst nur dann noch oben mit, wenn du dich aus der Masse hervorheben kannst." Wer allzu lässig dahergelaufen komme, so Wolfe, werde allerdings nicht ernst genommen.

Dem Mann von Geschäftswelt empfiehlt der Trendspotter Nadelstreifanzüge und schlichte, weiße Hemden: "Die Krawatte kann eine persönlichere Note haben, aber auch da würde ich nicht allzu viel Risiko eingehen." Bei den weiblichen Wirtschaftsträgern dreht sich derweil alles um den amerikanischen Volkswirt George Taylor, der vor 80 Jahren die Parallelen zwischen Mode und Konjunktur untersuchte und die These aufstellte: "Je schlechter die Zeiten, desto länger die Röcke der Damen."

Wolfe setzt in diesen wirtschaftlich unsicheren Zeiten auf die goldene Mitte der Knielänge, die Röcke sollten weder zu kurz noch zu lang sein. "Das eine sieht unreif aus, das andere, als wenn du dich gleich pensionieren lassen wolltest."

Ansonsten sollte die Dame von Geschäftswelt schlichte Seidenblusen besitzen sowie beigefarbene Chanelschuhe, "die, wenn ihr das nötige Kleingeld fehlt, auch gerne eine Kopie sein dürfen". Klassik pur also. In den Chefetagen stößt der Trend auf Zustimmung. Jedes dritte US-Unternehmen hat den "Casual Friday" inzwischen wieder abgeschafft und verlangt, dass die Angestellten sich auch zum Wochenausklang fein herausputzen. Anthony Giliberto stellt fest, dass viele seiner Managerkunden aufatmen.

Die Firmen, weiß er, hätten große Probleme mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gehabt und zudem festgestellt, dass die legere Kleidung die Produktivität negativ beeinträchtigt: "Mich wundert das nicht", sagt er: " Wenn die Angestellten im Freizeitlook zur Arbeit kommen, dann packen sie auch ihre Arbeit freizeitmäßig an."

Ob der Geschäftswelt neue Kleider wirklich die erhofften Karrieren bringen, bleibt abzuwarten. Es war bekanntlich ja auch einmal ein Kaiser, der ungeheuer viel Wert auf seine Garderobe legte, damit aber genau das Gegenteil von Respekt und Ansehen erntete & (red, Der Standard, Printausgabe 13./14.1.2007)