Das Skigebiet Serfaus-Fiss-Ladis.

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Wir kennen das aus alten Märchen: Da muss die Heldin oder der Held sich mühsam durch unwegsames Gelände vorwärts arbeiten, um auf jenem hohen Berg anzukommen, der den fabelhaften, den erzählenswerten Blick hinab in ein verwunschenes Tal bietet.

So geht es uns, als wir nach langem Weg mit Seilbahnen aufwärts und über Pisten abwärts - so unwegsam ist das Gelände dann doch nicht - bei der Bergstation der Pezidbahn in 2748 Meter Höhe aussteigen und hinunterschauen in einen winterlichen Almkessel. Wo kleine, schwarze Punkte - das sind natürlich ausgewachsene Skifahrer - sich in den Hängen tummeln. Ausgerechnet in jenem Teil des gesamten Skigebiets von Serfaus, Fiss und Ladis, der am weitesten von allem weg, wirklich abseits hinter den Bergen liegt. Er muss also etwas Besonderes haben.

Da sind einmal die Pisten. Eher sanft geneigt und so weitläufig, dass sie in großen, weiten Schwüngen abgefahren werden können, wenn man vom Pezid und vom Arrenzjoch hinab schwingt in den Kessel. Steiler, enger, anspruchsvoller stürzt man sich vom Mindersjoch unter dem Masnerkopf hinab, dem Zentrum, der Hütte entgegen.

Wer überfüllte Selbstbedienungslokale im Pistenbereich gewohnt ist, in denen man sich nur vorwärts schieben und drängeln kann, mühsam mit List und Ellenbogeneinsatz um einen Platz kämpfen muss, erlebt hier eine angenehme Überraschung. Denn die geradezu endlos lang erscheinende Theke, hinter der weiß gekleidete Köchinnen und Köche hantieren, bürgt für wesentlich appetitlichere Szenen im gastronomischen Skizirkus.

Für Wellness-Fanatiker

Die Hütte ist dennoch kein Geheimtipp für Einsamkeitsfanatiker. Aber es ist Platz hier, drinnen wie draußen. Vor allem auf der Sonnenterrasse, die jedem sternchenbewehrten Wellness-Hotel zur Ehre gereichen würde. Als wir diese Sonnenterrasse, die sich in mehreren Etagen hangabwärts zieht mit ihren langen Liegestuhlreihen, entdecken, wissen wir: Hier gehen wir so schnell nicht wieder weg. Und das liegt nicht nur an der intensiven Sonneneinstrahlung in 2450 Meter Höhe. Sondern viel mehr am Blick über die Furche des Inntales und hinüber auf die stolze Gipfelkette der Ötztaler Alpen.

Es bedarf einiger Übung und vor allem Standfestigkeit, sich dem recht langen und streckenweise extrem steilen Minderslift, einem Schlepplift, anzuvertrauen, der uns zum Höhepunkt des Masnergebietes bringt und das gleich im doppelten Sinne. Zum einen bildet das Mindersjoch unter dem Masnerkopf den höchsten Punkt im Masnergelände, zum anderen gibt es von hier aus den schönsten Blick über diesen Winkel. Gewiss, schwarze Kanonenrohrabfahrten sucht man vergeblich. Auch hier, weit ab vom übrigen Pistenbetrieb in Serfaus, bleibt man dem Ruf des Dorfes als Familien- und Kinderskigebiet treu.

Ein Dutzend im Schnee abgestellte Skier zeigen, dass es vom Mindersjoch aus noch etwas Besonderes zu sehen, zu erleben gibt, für das Skier eher unpraktisch sind. Eine halbe Stunde Aufstieg vom Joch entfernt liegt die Hexenseehütte, ein Stützpunkt des Deutschen Alpenvereins, in dem man auch übernachten kann. Und das wird vor allem im Spätwinter gerne genutzt, wenn die von Pisten unberührten Schneelagen zu Hochtouren einladen. Wer einigermaßen Kondition hat, ist von hier oben aus in gut zwei Stunden jenseits der Grenze im Schweizer Samnaun. Die Tour folgt der alten Schmugglerroute, über die noch bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts die Schmuggler von Tirol aus in die Schweiz zogen, um Kaffee, Zigaretten und Damenstrümpfe herüberzuholen.

An diese Zeiten erinnert noch die Schmugglerstube in der Masnerhütte mit den dort aufgehängten Fotos der wilden Zeit. Nur mit dem Umweltschutz nimmt man es schon seit Längerem ziemlich genau. Geheizt wird der gesamte Bau mit Elektrizität und Küchenabwärme. Riesige Sonnenkollektoren auf dem Dach helfen die Stromrechnung erträglich zu halten. Kein Wunder, dass die Masnerhütte mit dem Tiroler Preis für Niedrigenergiebauten ausgezeichnet wurde. Die Abwässer werden mit einer komplizierten Pumpanlage über die Berge in die Kanalisation von Serfaus gepumpt.

Kesselige Runde

Der Masnerkessel ist ein Erlebnis, das jedenfalls nur mit einer größeren Rundfahrt zu haben ist. Mit der Seilbahn müssen wir erst einmal nach Komperdell hinauf, der großen Station, von wo die Lazidbahn eine weitere Höhenetappe überwindet. Hinabschwingen zur Scheidbahn heißt es und wieder mit der Bahn hinauf zur Scheid. Letzte Schwünge über die Moosabfahrt, dann trägt die Gondelbahn uns zum Pezid hinauf. Und wieder hinab über die wie für uns ausgebreitet wirkenden weißen Teppiche des Masners, und mit einem letzten Schwung, der die Schneekristalle stieben lässt, stehen wir mitten auf der Terrasse der Hütte.

Liegt es an der Abgeschiedenheit, die den Kessel so attraktiv macht? Es ist nicht einsam hier und auch nicht still. Den ganzen Tag herrscht mehr als nur lebhafter Betrieb. Und dennoch, hier geht es angenehmer zu als auf den anderen Pisten. Es gibt keine Schirmbar mit lärmender Musik, keine Häuser außer der Hütte, keinen fernen Verkehrslärm, weder Rodler noch Spaziergänger, nur Skifahrer und Snowboarder.

Gut, das mit den Spaziergängern stimmt nicht an allen Tagen. Beim Abendessen in den Ferienquartieren in Serfaus, Fiss oder Ladis hörten die Nichtskifahrer immer wieder, wie die Freunde aller Bretter von "ihrem" Masnerkessel schwärmten. So gingen sie zum Tourismusbüro und beschwerten sich: "Wir möchten auch einmal nach Masner, wie kommen wir dahin?." Zu Fuß ist das kaum möglich - der Masner-Express wurde ins Leben gerufen. Und nun fährt schon seit einigen Jahren dreimal in der Woche eine mächtige Pistenraupe mit Fahrgastkabine von der Bergstation der Lazidbahn durch die weiße Winterwelt nach Masner. Soweit die Tourismus-Legende von der Urbarmachung eines Wintermärchens für Fußgänger. (Christoph Wendt/Der Standard/Printausgabe/13./14.1.2007)