Zur Person
Der Politologe Andreas Kießling (35) schrieb seine Dissertation zum Thema "Die CSU. Machterhalt und Machterneuerung" und befasst sich bei der Bertelsmann-Stiftung mit der Optimierung von Reformprozessen.

Foto: Bertelsmann
Standard: Ist Landrätin Gabriele Pauli der politische Sargnagel für Edmund Stoiber?

Kießling: Sie ist ein Katalysator, weil durch sie die Basis der CSU wieder Gehör bekommen hat. Stoiber hat es nach seinem Rückzug bei der Bundestagswahl 2005 zwar sehr schnell geschafft, die CSU-Oberen wieder auf seine Seite zu bekommen, aber die Akzeptanzprobleme an der Basis gibt es ja nach wie vor.

Standard: Aber wie kann eine Person eine erfolgreiche Partei samt Ministerpräsidenten derart ins Chaos stürzen?

Kießling: Der Unmut hat sich schon länger angestaut. Nach dem fulminanten Wahlsieg in Bayern 2003 fuhr Stoiber einen sehr harten Sparkurs, der praktisch jeden im Land betrifft. Den hat er aber zuvor nicht angekündigt. Dann war 2005 dieser Zickzackkurs in der Bundespolitik, das kommt jetzt eben alles hoch.

Standard: Pauli will die Spitzenkandidatur für die Wahl 2008 per Mitgliederbefragung lösen. Macht das Sinn?

Kießling: Nur wenn es Gegenkandidaten gibt. Aber das ist offensichtlich nicht der Fall.

Standard: Rechnen Sie damit, dass sich jemand aus dem Führungskreis gegen Stoiber stellt?

Kießling: Ich sehe keinen Königsmörder in der CSU. Stoiber hat zwar einen dramatischen Ansehensverlust erlitten, aber er hat immer noch eine große Machtbasis. Es sind längst nicht alle gegen ihn. Außerdem muss sich ein potenzieller Nachfolger das Timing sehr gut überlegen. Springt er zu früh, landet er möglicherweise als Bettvorleger.

Standard: Pauli behauptet, Stoiber habe ein Problem mit Frauen. Ist das so?

Kießling: Teile der CSU haben immer noch ein sehr traditionelles Frauen- und Familienbild. Aber dass Stoiber speziell ein Problem mit Frauen hat, sehe ich nicht. Er hat und hatte ja auch starke Frauen in seinem Kabinett. Die Selbstdemontage von Monika Hohlmeier (Tochter von Franz Josef Strauß, Anm.) ist ja nicht seine Schuld.

Standard: Es wird spekuliert, Stoiber könnte den Parteivorsitz abgeben, um wieder Ruhe in die CSU zu bringen. Würde er sich darauf einlassen?

Kießling: Das glaube ich nicht, denn das wäre eine Demontage auf Raten. Zu einer Ämterteilung ist es ja nach der prägenden Strauß-Zeit gekommen, als Theo Waigel CSU-Chef war und Max Streibl Ministerpräsident. Das hat zwar den Vorteil, dass nicht so viel Macht in einer Hand liegt. Aber wenn der CSU-Chef nicht Ministerpräsident ist, muss er zumindest als Bundesminister in Berlin am Tisch sitzen, um Einfluss zu sichern.

Standard: Was unterscheidet Stoiber in Krisen von Strauß?

Kießling: Stoibers Autorität beruht fast nur auf politischem Erfolg, die Gefolgschaft der Partei ist daher rational. Strauß' Führung war viel emotionaler, also treffen strategische Fehler Stoiber härter. Zwar war auch bei Strauß die Machtkonzentration stark, doch seine Kontrolle war nicht so perfektionistisch. Daher verkraftete er vorübergehenden Liebesentzug leichter.

Standard: Wie soll die Landtagsfraktion nächste Woche in Wildbad Kreuth vorgehen?

Kießling: Sie kann Stoiber nicht abschwören, sich aber auch nicht bedingungslos hinter ihn stellen. Wichtig wäre der Mittelweg: zu sagen, dass man seine Politik unterstützt und auf Sachthemen verweist. (Birgit Baumann/DER STANDARD, Printausgabe, 13./14.1.2007)