Am Set von "Mein Führer": Regisseur Dani Levy instruiert Helge Schneider (Mi., bis zur Unkenntlichkeit maskiert) und Ulrich Mühe, der Hitlers Schauspiellehrer Adolf Grünbaum spielt.

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STANDARD: Dani Levy, Sie sind Schweizer, Berliner, Jude – wo entstand der Wunsch, eine Komödie über Adolf Hitler zu drehen?

Levy: Ich bin in einer vorbelasteten Familie aufgewachsen, die alles getan hat, um nicht über dieses Thema zu sprechen. Meine Mutter hat die ersten zwölf Jahre ihres Lebens in Berlin im Stadtteil Moabit gelebt und bis 1939 den Nationalsozialismus inklusive Reichskristallnacht und alles erlebt. 1939 ist sie mit ihrer Familie aus Deutschland rausgeschmuggelt worden. Bei uns zu Hause war das Thema aber so was von knallhart tabu, da wurde gar nicht darüber aufgeklärt, in keinster Weise.

Unsere Schulerziehung in der Schweiz war relativ mickrig, was das Thema betraf, und was die Schweizer "Das Boot ist voll"-Mentalität betraf, sowieso. Da brauchte es dann schon einen Film, um das in den Blick zu rücken. In Deutschland, wohin ich Anfang der 80er-Jahre kam, ist es mir so vorgekommen, als wäre das in den letzten fünf, zehn Jahren noch einmal so was von hochgeschwappt, mit einem absoluten Overkill, mit einer Mehrfachverwertung des Materials. Ich wehre mich dagegen, nicht so sehr gegen die Information, aber ich verstehe den moralischen Auftrag da nicht mehr.

STANDARD: Bei Hitler sind der Fantasie viele Grenzen gesetzt. Wie kommt man da zu einer "wahrsten Wahrheit"?

Levy: Der Untertitel von Mein Führer hat natürlich durchaus selbstironische Züge, das schwingt sicher mit. Abgesehen von einer fiktionalen, märchenhaften Fabel fußt der Film aber auf einer ganzen Menge realistischer und auch historisch belegter Tatsachen.

Es gab tatsächlich einen Schauspiellehrer von Adolf Hitler, der hat mich inspiriert. Der zweite wichtige Impuls, mit dem es mir tatsächlich ernst war, waren die Ausführungen von Alice Miller über Hitlers Kindheit in Am Anfang war Erziehung. Es sind die Betrachtungen einer, wie ich finde, guten Psychologin. Sie ist ja für einen grenzenlosen Schutz des Kindes. Ihre These zur unbewussten Reproduktion von erlittenen Demütigungen und Qualen im Kindesalter hat sie in mehreren Fällen belegt. Das waren so die beiden inhaltlichen Impulse.

STANDARD: Der Schauspieler Adolf Grünbaum, im Film gespielt von Ulrich Mühe, versucht an einer Stelle, seinen Einfluss auf Hitler für die Befreiung des Lagers Sachsenhausen zu nützen – dahinter steckt doch auch eine Fantasie in Analogie zu Steven Spielbergs "Schindlers Liste", der so etwas wie der kanonische Film über die Shoah geworden ist. Sie haben ihn damals kritisiert. Wie sehen Sie das heute?

Levy: Ich würde vielleicht ein bisschen mehr Respekt haben vor dem Können von Spielberg. Er ist für mich der größte Repräsentant Hollywoods, und Hollywood hat für mich diese eigene Überschätzung, dass alles darstellbar ist. Die haben auch ihr Verhältnis zur Lüge verloren. Weil: Film ist Lüge. Und Spielberg verkauft den Zuschauern die nachgebildete Realität als Wahrheit. Das halte ich für gefährlich, da bin ich politisch dagegen.

STANDARD: Wie sind Sie auf Helge Schneider als Adolf Hitler gekommen?

Schneider: Ich weiß, warum.

Levy: Moment, ich kann da schon was erzählen. Es war wirklich eine sehr intuitive und unerwartete Geschichte. Ich kannte auch Helges Filme nicht. Du bist komischerweise beim Schreiben bei mir reingekommen. Bei den Probeaufnahmen habe ich sofort gesehen, warum ich den Kerl haben wollte. Ich hatte das Gefühl, er muss das nicht unbedingt machen, er nimmt das eher wie ein lässiger Jazzer.

Schneider: Ich hätte beinahe abgesagt, weil ich mir dachte: Haare ab? Nee. Aber im Ernst. Eine Freundin hat mich gefragt: "Adolf Hitler? Hast du das denn nötig?"

STANDARD: Die Frage drängt sich tatsächlich auf.

Schneider: Aus dem Grund habe ich es aber gemacht! Weil ich es nötig hab'. Und wenn alle so tun, als hätte ich es nicht nötig, tue ich so, als hätte ich es nötig.

STANDARD: Ist Adolf Hitler für einen Komiker nicht wie eine zu leichte Aufgabe? Jeder Karnevalsredner kann Hitler parodieren. Gibt es dahinter noch eine Wahrheit?

Schneider: Aber ja, wenn ich spiele, tauche ich in diese Figur ein, in die Tiefe von Adolf Hitler oder Räuber Hotzenplotz. Das ist für mich die Wahrheit – das Gefühl, die Tiefe, das Menschliche, das beinhaltet Gut und Böse, Links und Rechts, die ganzen Sachen. Ich habe gar nicht drauf geachtet, was der sagt oder wo er hingeht – ich bin in dem Moment einfach die Tiefe, und das ist die Wahrheit. Wenn der Film kontrovers diskutiert wird, dann ist das auch die Wahrheit.

STANDARD: Was haben Sie in der Schule über Hitler gelernt?

Schneider: Was die Lehrer versucht haben, zu vertuschen, weiß ich nicht mehr. Ich bin mit vierzehn Jahren von der Schule geflogen, ich habe über die Nazizeit kein einziges Wort gehört. In den 60er-Jahren war das nicht so salonfähig, wir hatten in Geschichte nicht die Nazizeit – die Etrusker und Cherusker, das hatten wir. Wir mussten viel über Cicero lernen und Cäsar, oder über Kikero und Käsar. In der Musik haben wir Der Freischütz aufgeführt.

STANDARD: Wer Ihre eigenen Filme kennt, weiß, dass Sie mit dem deutschen Kino so gut wie nichts zu schaffen haben. Wussten Sie von Dani Levy?

Schneider: Ich kannte Danis ersten Film, wie heißt denn der noch, wo du selber so Saxofon gespielt hast, der war schwarz-weiß, glaube ich ...

Levy: Du mich auch.

Schneider: Genau. Da steht die Mauer noch, Altsaxofon, bisschen so melancholisch, lustig, heiter, tiefer ein bisschen. Den kannte ich. Ansonsten habe ich gesehen: fast alle Dick und Doof-Filme, und ich habe gesehen: Leichen pflastern seinen Weg.

Deutsche Filme haben mich nie so bewegt. Der Untergang habe ich gesehen. Ich war im Kino. War der Einzige, der gelacht hat im Kino. Ich habe den Film, glaube ich, verstanden.

STANDARD: Weil Sie gelacht haben.

Schneider: Weil ich gelacht habe.

STANDARD: Dann wurde der Film aber überwiegend missverstanden.

Levy: Ich musste auch lachen an ein paar Stellen. Weil ich die versuchte Ernsthaftigkeit so rührend fand. Ich fand ihn ja auch gut, und es war gar nicht so, dass ich ihn durchgehend daneben fand, aber dieser Bierernst, der sich so versklavt an die Realitätshörigkeit, ist einfach grotesk. Ich glaube, dass die ungewollte Nähe zu Hitler die Leute vielleicht extrem verunsichert.

Schneider: Das ist ein ganz normaler Prozess, dass Leute verunsichert werden, wenn sie sehen, das ist ein Mensch und keine Karikatur. Am meisten Spaß gemacht hat mir immer, wenn der Führer sich total aufgeregt hat. Nicht nur, weil ich da so losdonnern konnte, sondern weil das so total kläglich ist. Das kann ich auch gut. Ich kann mich sehr gut aufregen aus Spaß. Diese unheimliche Ernsthaftigkeit, die kennen wir ja aus den vielen Aufnahmen von ihm. Wenn heute jetzt so einer käme, der würde das ja in einer anderen Verkleidung machen. Es ist immer ein "Guter-Onkel-System". Wenn er das Böse gemacht hat, hat er ja gar nicht gedacht, dass er das Böse macht: Er hat nur gedacht, wir müssen die und die ausmerzen, das und das machen, damit wir mehr Platz haben im Osten, das ist unabänderlich.

Ich kann eine kurze Anekdote erzählen. Gestern mache ich das Fernsehen an, sehe da einen Mann, der mit seinem Yorkshire durch den Treptower Park geht, ohne Leine. Kommen zwei so Security-Leute und weisen ihn an: He, der Hund muss an die Leine. Dat Männeken geht weiter, die Leute rennen ihm nach, holen die Polizei, dann geht alles ganz schnell, Pfefferspray für den Hund, Handschellen für den Mann. Unser Film wird sicher nicht die Frage beantworten, warum dieser Mann verhaftet wurde.

STANDARD: Helge Schneider wäre bereit, Hitler in Serie gehen zu lassen. Für Dani Levy ist jetzt erstmal Schluss damit. Wer setzt sich durch?

Schneider: Ich habe Hitler doch schon in Serie gehen lassen. Ich habe ihn ja schon einmal gespielt in diesem Film von Christoph Schlingensief, den hatte ich vergessen. Menü total heißt der, da spiele ich Hitler als kleiner Junge. Das war ein Schwarz-Weiß-Film, ganz grobkörnig, aber der ist ja auch in Chicago gelaufen. Ich habe da noch eine Schlagzeile über mich zu Hause: "Deutscher Schauspieler – Mittelding zwischen Robert Redford und ... – wem noch mal? Habe ich jetzt vergessen. (Bert Rebhandl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10. 1. 2007)

---> Mensch, Maske, "Nazisau"?


Mensch, Maske, "Nazisau"? Eher lahm: Die jüngste "Führer"-Debatte

Wenn Dani Levy in Interviews nachvollziehbar beteuert, ihm ginge der Führer-Doku-Dauerbeschuss von Guido Knopp und Co. auf die Nerven, dann muss man angesichts seiner neuen Komödie Mein Führer leider sagen: Was man da auf der Leinwand und im Umfeld sieht und hört, ist selbst eher Teil des Problems als der Lösung desselben.

Dass die Medien auf Schlagzeilen wie "Helge Schneider als Hitler!" aufspringen, war schon im Vorjahr rund um die Dreharbeiten in Berlin zu erahnen. Wobei die Frage, ob man über das Dritte Reich lachen darf, spätestens seit Lubitschs Sein oder Nichtsein oder Chaplins Der große Diktator abgehakt sein müsste. Auch Roberto Benigni hatte ja einst mit Das Leben ist schön vorgeführt, wie man mit den Mitteln des Slapstick den Fallstricken des historischen Pathos entkommen könnte, ohne pietätlos den Horror zu verharmlosen.

Christoph Schlingensief, selbst immer wieder mit der Produktion von Gegenbildern zum Zeitgeschichtekitsch (Menu Total, 100 Jahre Adolf Hitler, Begnadete Nazis) beschäftigt, meinte einmal: "Hitler muss man kaputtreden." Er wandte sich damit gegen eine Hochstilisierung des GröFaZ zur Ikone des Bösen. Und in der Tat wurde diesbezüglich selbst in Deutschland, etwa mit Walter Moers' Cartoons Adolf, die Nazisau, schon einiges geleistet.

Dani Levy bringt diesen Mut zur Groteske kaum auf – auch wenn ihm Helge Schneider bei den Dreharbeiten sehr (de)konstruktive Angebote gemacht haben dürfte: siehe einen sehr lustigen Trailer, in dem Schneider vor einer Militärkarte "mät Stompf ond Stähl!" Strategien improvisiert. Oder im Film: ein Abend am Piano mit Eva Braun, bei dem Liedgut der Gegenwart zum Besten gegeben wird. Das sind jedoch letztlich nur Episoden, während der Komiker hinter einer unsäglichen Maske verschwindet und stattdessen in Szenen mit leidenden Opfern doch permanent sichergestellt wird, dass allen Bedenken Rechnung getragen sei.

Und jetzt? Lahme "Kontroversen" rund um einen unentschlossenen Film. Wie zuletzt bei Der Untergang Fragen wie: Soll man Hitler als Menschen darstellen? Ist das Verharmlosung oder großes Schauspiel? Müssen wir jetzt wieder Originalaufnahmen studieren? Guido Knopp, bitte melden! (Claus Philipp/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10. 1. 2007)