Kurz vor Jahresende hat der Europäische Gerichtshof die von der Bundesrepublik Deutschland erhobene Nichtigkeitsklage gegen die "neue" Tabakwerberichtlinie in allen Punkten abgewiesen (Rs C-380/03 vom 12.12.2006). Gemeinschaftsrechtlich reglementierte Werbung genießt nach dieser Entscheidung so gut wie keinen Grundrechtsschutz mehr.

Wir erinnern uns zurück: Die alte Tabakwerberichtlinie war vom EuGH im Jahr 2000 nichtig erklärt worden. Eine zentrale Rolle hatte damals der Umstand gespielt, dass in der alten Richtlinie ein Totalverbot jeglicher Tabakwerbung angeordnet worden war. Ein solches Verbot sei, so der EuGH damals, nicht der Binnenmarktverbesserung dienlich, sondern eine Maßnahme, deren wesentliche Stoßrichtung der Gesundheitsschutz sei, für die der EU aber keine Kompetenz zukomme. Im selben Urteil öffnete der EuGH jedoch bereits eine Hintertür: Ein (einheitliches) Verbot von Tabakwerbung könne zulässig sein, um den freien innergemeinschaftlichen Handel mit Presseerzeugnissen nicht zu gefährden.

Dankbar für diesen Hinweis erließ der Gemeinschaftsgesetzgeber eine neue Werberichtlinie. Tabakwerbung war nunmehr lediglich in Presseerzeugnissen (ausgenommen Branchenmagazine) und in Form von Sponsoring verboten. Diesmal hielt die Richtlinie der Prüfung durch den EuGH stand, da sich das aktuelle Verbot nur noch auf binnenmarktrelevante Bereiche beziehe. Die Binnenmarktrelevanz des innergemeinschaftlichen Zeitungshandels wird in der Entscheidung allerdings bloß postuliert, nicht aber empirisch belegt. Entsprechend oft betont der EuGH, dass der Gesundheitsschutz, wenngleich nicht Gemeinschaftskompetenz, sehr wohl Nebeneffekt anderer Maßnahmen sein kann.

Meinungsfreiheit

Hellhörig machen jedoch die Äußerungen des Gerichtshofes zu den deutschen Bedenken, wonach die Tabakwerberichtlinie die Meinungsfreiheit verletzten würde. Der EuGH führt hierzu aus, dass der Schutz der Meinungsfreiheit je nach damit verfolgtem Ziel unterschiedlich stark beschränkt werden darf. In der Werbung sei das Ermessen des Gesetzgebers aufgrund der Wandelbarkeit und Komplexität der Bereiches Werbung weit. Kalmierend fügt der EuGH hinzu, dass ja selbst für den Fall einer indirekten Beeinträchtigung der Pressefreiheit durch das Werbeverbot die redaktionelle Freiheit unbeeinträchtigt bleibe.

Was sind die Konsequenzen dieser Entscheidung? Es ist allgemein bekannt, dass der EuGH beim Grundrechtsschutz zumeist in dubio pro communitate entscheidet, das entsprechende Grundrecht also im Lichte gemeinschaftlicher Bedürfnisse auslegt. In der Tabakwerbeentscheidung schießt der EuGH über diese allgemeine Maxime jedoch hinaus, indem er in seiner Begründung kommerzieller Marktkommunikation im Ergebnis jeden Schutz abspricht.

Dass ein Werbeverbot die redaktionelle Berichterstattung nicht beeinträchtigt, ist eine Selbstverständlichkeit, denn es handelt sich um zwei voneinander getrennt zu betrachtende Bereiche mit völlig unterschiedlichen Steuerungsmöglichkeiten und Zielsetzungen. Deshalb trägt der beinahe uneingeschränkte grundrechtliche Schutz, den redaktionelle Inhalte genießen (siehe etwa die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Standard im vergangenen November), nichts dazu bei, um das Unbehagen vieler Juristen über den fehlenden Schutz für Werbung zu dämpfen. Es bleibt die ernüchternde Erkenntnis, dass manche Kommunikationsformen im gemeinsamen Markt nur pro forma geschützt sind. (Alexander Klingenbrunner, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.1.2007)