Als das große Blitzlichtgewitter losbrach, Noch-Kanzler Wolfgang Schüssel und Bald-Kanzler Alfred Gusenbauer die Einigung über die große Koalition verkündeten, übten sich die parlamentarischen Mitarbeiter und Funktionäre der künftigen Regierungsparteien noch in durchaus unterschiedlichen Rollen. Während man sich auf Seiten der ÖVP das Feixen über das Verhandlungsergebnis nicht verkneifen konnte, suchte man sich im Lager der SPÖ, dasselbe schönzureden. In der Parteizentrale liefen unterdessen die Telefone heiß, weil empörte Genossen Auskunft darüber begehrten, wie in aller Welt man der ÖVP alle Schlüsselressorts bis auf das Kanzleramt überlassen konnte. Dass neben dem Finanz- und Außenministerium nun auch das Innenministerium bei der ÖVP gelandet ist, die SPÖ dafür das Verteidigungsministerium und damit die Eurofighter-Beschaffung oder -Entsorgung erbt, wollte vielen nicht wirklich in den Kopf.

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Die ÖVP besetzt die Ministerien für Inneres, Äußeres, Finanzen, Wirtschaft und Arbeit, Wissenschaft, Gesundheit, Landwirtschaft und Umwelt. Die SPÖ bekommt den Kanzler, Soziales, Infrastruktur, Verteidigung, Unterricht und Kunst, Frauen und Justiz. Gusenbauer selbst rechtfertigte die Ressortaufteilung unterdessen so: "Es ist am besten, wenn ein Sozialdemokrat die Vorbereitung der Bundesheer-Reform vollzieht und sich um das strittige Thema der Eurofighter kümmert."

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Warum das am besten ist, verriet der künftige Kanzler nicht, sondern lediglich, dass er seinem Verteidigungsminister de Auftrag geben werde, unverzüglich mit dem Hersteller EADS in Verhandlungen über eine kostengünstigere Lösung zu treten. Dass die nicht automatisch in einer Abbestellung des Fliegers liegen muss, fügte allerdings sein Verhandlungspartner Schüssel umgehend an: Sowohl SPÖ als auch ÖVP seien sich einig, dass Verträge einzuhalten sind. Er, Schüssel, sei nach wie vor überzeugt, dass mit dem Kauf des Eurofighters die beste Lösung getroffen worden sei. Wenn es aber eine günstigere Variante gebe, werde er sich dieser bestimmt nicht verschließen, versicherte Schüssel und wies darauf hin, dass die erste Ratenzahlung für die Eurofighter in den nächsten Tagen überwiesen wird.

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Mit der Ressortverteilung war Schüssel sehr zufrieden. Die Ironie, mit der er sie kommentierte, war freilich mit Händen greifbar: "Ich glaube, dass wir von unserer Seite unsere Handschrift in den Ressorts gut unterbringen können." Auf die Frage, ob er sich nach der Wahlniederlage am ersten Oktober erwartet hätte, sowohl das Finanz- als auch das Innenministerium übernehmen zu können, antwortete Schüssel: "Wenn ein gutes Verhandlungsergebnis und ein guter Wille auf der anderen Seite da ist, habe ich mir das genauso vorgenommen." Gleichzeitig habe sich ja auch Gusenbauer vorgenommen, mit einem guten Team Kanzler zu werden, und außerdem wäre es sinnlos, sich in dieser Frage "gegenseitig ausspielen zu lassen".

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Beim zweiten großen Streitpunkt, den Studiengebühren, haben sich Schüssel und Gusenbauer auf ein Modell geeinigt, das zweiterer als großen Beitrag zur "Stärkung des sozialen Zusammenhaltes" anpreist. Wer keine Studiengebühren zahlen will, hat die Möglichkeit, 60 Stunden pro Semester gemeinnützige Arbeit, etwa durch die Unterstützung sozial bedürftiger Schüler oder im Hospizbereich zu leisten. Dafür wird die Gebühr von 363 Euro pro Semester erlassen. Dieser "undogmatische Weg" sichere den freien Hochschulzugang, glaubt Gusenbauer, und außerdem soll das Stipendiensystem gestärkt und der Zugang zu zinsenlosen Krediten für Studierende ausgeweitet werden.

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Außerdem soll die Zuverdienstgrenze auf 16.200 Euro jährlich angehoben werden. Weiters wurde die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre und die Ausdehnung der Legislaturperiode auf fünf Jahre ab der nächsten Nationalratswahl beschlossen. Fixiert wurde auch eine Erhöhung der Mineralölsteuer, die zur Finanzierung des Infrastrukturausbaus verwendet werden soll, für die zehn Milliarden Euro aufgebracht werden sollen.

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Schüssel führte als Beitrag seiner Partei unter anderem an, dass die EU-Agenden bei der ÖVP geblieben seien. Das Außenministerium könnte man, so Schüssel, auch in "Ministerium für internationale und europäische Angelegenheiten" umtaufen.

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Auf die Frage, was denn nun eigentlich das gemeinsame Projekt der neuen Regierung sei, dass es vor allem um die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes bei gleichzeitiger Senkung der Arbeitslosigkeit gehe. Bis 2010 soll die Arbeitslosigkeit um ein Viertel reduziert werden, heißt das ehrgeizige Ziel. Zugleich soll aber auch, so Gusenbauers Wunsch, die "Solidarität innerhalb der Gesellschaft gestärkt und das Bildungswesen reformiert werden. "Leistungsbereitschaft und Solidarität" sei das Motto, unter dem die neue Regierung zu arbeiten beginnen will. Schüssel verwies darauf, dass die größten Investitionen in Bildung und Forschung fließen werden, was ebenfalls dem Wirtschaftsstandort zugute kommen soll.

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So begeistert sich die beiden Chefverhandler von ihrem Projekt zeigten, so ernüchtert und ernüchternd fielen die Reaktionen der anderen Parteien und einiger unmittelbar Betroffener aus. Die SPÖ habe ohne Not Hemd und Hosen hergegeben, lautete der Tenor. Vor der SP-Zentrale in der Löwelstraße fanden sich umgehend rund 200 Studenten zu einer Spontandemonstration gegen das Studiengebühren-Modell ein.

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Auch in der SPÖ beschränken sich die Irritationen nicht nur auf den inneren Funktionärskreis. Dem Vernehmen nach wurde in der oberösterreichischen Landespartei sofort nach Bekanntwerden der Verhandlungsergebnisse eine Krisensitzung einberufen. Die am Dienstag stattfindende Sitzung des Parteivorstandes und des Präsidiums dürfte für Gusenbauers Paket die erste harte Bewährungsprobe werden.

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Mit dem früheren Vizekanzler und Finanzminister Hannes Androsch meldete sich auch schon der erste "Promi" zu Wort. Im Gespräch mit dem Standard zeigte sich Androsch über Gusenbauers Verhandlungsergebnis geschockt: Er kann sich nicht vorstellen, dass dieses Koalitionsabkommen im Parteivorstand akzeptiert wird. Androsch kritisiert eine Umkehr des Wahlergebnisses. "Die SPÖ macht sich zum Gespött", sagt der Industrielle. Wortwörtlich spricht Androsch von einem "Harakiri", dieses Verhandlungsergebnis sei für die SPÖ "die Todespille". (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.1.2007)

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