Der zweifache Oscar-Preisträger Clint Eastwood krönt sein Lebenswerk mit einem beispiellosen Projekt: Der Weltkriegsschlacht auf Iwo Jima hat er nun gleich zwei Filme gewidmet – aus amerikanischer und aus japanischer Perspektive.
Wien – Der Anfang, am 19. Februar 1945: Der Vulkan Suribachi auf der kleinen Insel Iwo Jima, am Ende einer beispiellosen, über einen Monat sich hinziehenden Schlacht zwischen amerikanischen Landungstruppen und japanischen Verteidigern, die rund 22.000 Menschen das Leben kosten sollte. Vor Ort: Ein talentierter Pressefotograf namens Joe Rosenthal und ein Ensemble von sechs jungen, eine Flagge hissenden US-Soldaten, das Vorbild für unzählige Heldendenkmäler werden sollte. Das Foto aus Iwo Jima ging um die Welt. Wenig später tourten die sechs mit Tapferkeitsmedaillen prämierten "Helden" im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums durch die Staaten, um die kriegsmüde Nation wieder auf Kurs zu bringen. Wer sie waren und was sie auf die Insel verschlagen hatte, interessierte kaum jemanden. Die Kluft zwischen einem omnipräsenten Bild und den realen Traumata: Ihre Geschichte sollte erst viele Jahre später recherchiert und verfilmt werden.
James Bradley, Historiker und Sohn des abgelichteten Veteranen John "Doc" Bradley publizierte 2000 mit "Flags of Our Fathers" einen Sachbuchbestseller, an dem sich Steven Spielberg, ermutigt vom Erfolg von "Saving Private Ryan", die Rechte sicherte. Als Clint Eastwood, mit dem Spielberg schon bei "The Bridges of Madison County" zusammengearbeitet hatte, sein Interesse am Stoff bekundete, schien klar: Ein Antikriegsfilm, inszeniert vom zweifachen Oscar-Preisträger ("Erbarmungslos", "Million Dollar Baby"), geschrieben von Paul Haggis, der im Vorjahr für "L.A. Crash" den Academy Award erhalten hatte – das war, nicht zuletzt in Irakkriegszeiten, das Sujet der Stunde.
Es war, nach der beispiellosen Erfolgsserie, die Eastwood in den letzten zwanzig Jahren als Regisseur hingelegt hat, nur bedingt überraschend, dass auch "Flags of Our Fathers" nach der Premiere im Herbst von der US-Filmkritik als weiterer Klassiker gepriesen wurde: Die melancholische, epische Aufarbeitung amerikanischer Bubenträume und ihrer Desillusion wurde gar mit Werken des US-Großmeisters John Ford verglichen. Der im Alter zunehmend experimentierfreudige Eastwood gab sich aber nicht damit zufrieden, nur die nächste erwartbare "Qualitätsware" abzuliefern.
Blickwechsel
Als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, verkündeten er und Spielberg relativ spät, dass man parallel noch einen zweiten Film produzierte und drehte, der, mit japanischen Darstellern und in Originalsprache gedreht, die andere Seite thematisiert und im November zuerst in Japan gestartet werden sollte: "Letters from Iwo Jima" erzählt die Geschichte der 22.000 Verteidiger, die wochenlang in unterirdischen Höhlensystemen ausharrten, und von denen nur 1800 Männer überlebten. Es ist ein Film, ausgebleicht, fast schon Schwarzweiß, der, vergleichbar mit Stanley Kubricks "Wege zum Ruhm", mit fremden Ehrenkodices bis hin zum Selbstmord konfrontiert, und gleichzeitig hochzivilisierte, menschliche Charaktere porträtiert, die mit den üblichen fanatischen Fernost-Klischees rein gar nichts gemein haben.
Der japanische Kommandant der Truppen auf Iwo Jima (gespielt vom asiatischen Superstar Ken Watanabe) hatte vorher lange in Kalifornien gelebt und galt als großer Freund des american way of life. Ein weiterer seiner Generäle hatte nicht lange vor der Schlacht in Los Angeles die olympische Medaille als bester Sprungreiter gewonnen.
Nichts an diesen Gentlemen entsprach den herkömmlichen Feindbildern. Und Clint Eastwood, der offensichtlich die Filme eines Akira Kurosawa verinnerlicht hat, zeigt es mit einer reduzierten, unpathetischen Sprache, in der Begriffe wie Haltung und Ehre neu lesbar werden, in einem Niemandsland auf schwarzem Sand, in dornigem Gestrüpp und Felsenformationen, die "Letters from Iwo Jima" eine zeitlose Qualität verleihen.
Dass Hollywood in den letzten Jahren nicht nur in der Adaption von TV-Reihen, sondern auch in Fortsetzungsfilmen ("Matrix", "Herr der Ringe", "Fluch der Karibik") verstärkt dem ökonomisierten Serienprinzip huldigt, ist nicht neu. Auch Eastwoods Iwo-Jima-Filme profitieren bis in die Vermarktung hinein von diesen neuen Möglichkeiten. Wirklich revolutionär ist diese Doppel-Produktion aber deshalb, weil sie Werte des Autorenkinos zu einem Zeitpunkt in Hollywood radikalisiert, wo ebendort formale und inhaltliche Gleichschaltung neue Höhepunkte erreichen.
Ein Gedankenexperiment möge verdeutlichen, was das heißt: Bei den diesjährigen Golden-Globe-Nominierungen läuft "Letters from Iwo Jima" noch in der eher stiefmütterlich betrachteten, weil meist europäischen und asiatischen Produktionen vorbehaltenen Kategorie "Fremdsprachig". Was würde es aber bei der Oscar-Gala bedeuten, wenn zwei US-Superstars wie Spielberg und Eastwood den Hauptpreis für einen "besten Film" entgegen nähmen, der in anderer Sprache eine fremde Sicht auf einen Kriegsschauplatz bebildert, von dem sich Amerika längst "sein Bild" gemacht zu haben glaubte?
Am Anfang waren sechs junge US-Soldaten, die Gefangene eben dieses Bildes geworden waren. Jetzt wurden ihnen weitere Bilder beigestellt, Bilder von anderen "Gefangenen" anderer Ideale, die oft nur noch die Chance sahen, sich selbst mit Handgranaten in die Luft zu jagen. Clint Eastwoods Filme vermitteln eine Ahnung davon, dass wir wohl auch die Kriegsschauplätze unserer Tage viel zu schematisch "sehen". (Claus Philipp / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.12.2006)