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foto: REUTERS/Gil Cohen Magen
War es wirklich bloß ein Ausrutscher, oder ändert Israel mit Blick auf den Iran seine Kernwaffenpolitik? „Ein nuklearer Versprecher“ des Premierministers, meldeten gestern jedenfalls die identischen Schlagzeilen der beiden größten israelischen Tageszeitungen, ein Ausdruck, der auch als „nukleares Leck“ verstanden werden kann. In einem Interview für den deutschen TV-Sender Sat.1 im Vorfeld seiner am Montag begonnenen Deutschlandreise hatte ein emotional und schnell redender Ehud Olmert Israel in einem Atemzug mit Nuklearmächten genannt: „Wir haben nie einer anderen Nation mit der Vernichtung gedroht – der Iran droht öffentlich und ausdrücklich, Israel von der Landkarte zu löschen. Können Sie sagen, dass das dasselbe Niveau ist, wenn sie Kernwaffen anstreben wie Amerika, Frankreich, Israel, Russland?“

Tabubruch vs. Lapsus

Die Brisanz dieser Worte war den deutschen Interviewern offenbar gar nicht aufgefallen, in Israel hingegen merkte man sofort, dass Olmert entweder ein Tabu gebrochen oder dass ihm eine peinliche Fehlleistung unterlaufen war. Es gilt zwar sowohl in Israel als auch weltweit als Faktum, dass der kleine Judenstaat seit Jahrzehnten an die 200 Atomsprengköpfe lagert, offiziell setzen die Israelis aber stoisch auf „nukleare Zweideutigkeit“. Indem es den Besitz von Kernwaffen weder zugibt noch bestreitet, will Israel potenzielle Angreifer verunsichern und die größtmögliche Abschreckungswirkung erzielen, ohne sich internationaler Kritik auszusetzen und die Rechtfertigung für ein nukleares Wettrüsten in der Region zu liefern.

Politikschwenk

Nun sei aber dem Regierungschef höchstpersönlich etwas herausgeschlüpft, wofür jeder israelische Journalist von der Militärzensur verfolgt würde, schrieb ein Kommentator, und sowohl die Rechts- als auch die Linksopposition empörten sich über den Lapsus, der „die Politik von fast einem halben Jahrhundert infrage stellt“. Im Umfeld des Premierministers, der gestern in Berlin von Bundeskanzlerin Angela Merkel empfangen wurde (siehe Seite 3), versuchte man, den Schaden zu begrenzen: Olmert habe an keiner Stelle gesagt, dass Israel tatsächlich über Kernwaffen verfüge, er habe Israel bloß in eine Reihe mit „demokratischen und verantwortungsbewussten Ländern“ gestellt, um den Unterschied zum Iran klarzumachen. „Die Politik hat sich nicht geändert“, versicherte gestern Verteidigungsminister Amir Peretz und sandte zugleich ein Warnsignal aus: „Wir werden unsere Arbeit machen – niemand soll denken, dass wir angesichts aller Entwicklungen tatenlos bleiben werden.(Ben Segenreich aus Tel Aviv/DER STANDARD, Printausgabe, 13.12.2006)