Im deutschsprachigen Raum wird das erste Buch über Natascha Kampusch (vorläufig) nicht erscheinen. Ihr Anwalt will auch die englische Ausgabe bekämpfen. Buchautor Allan Hall versteht nicht, warum.


Wien/London - In Österreich, Deutschland und der Schweiz wird das erste so genannte Enthüllungsbuch über Natascha Kampusch gar nicht erst ausgeliefert. In England will Kampuschs Medienanwalt Gerald Ganzger kommende Woche Klage gegen Times Online erheben, wegen zweier Textauszüge, die ins Internet gestellt worden sind.

Doch Allan Hall, einer der beiden Autoren von "Mädchen im Keller - Die Natascha-Kampusch-Geschichte", zeigt sich im Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin Focus von seinem und Mitverfassers Michael Leidigs Job trotzdem überzeugt: "Ich bin kein Anwalt, sondern ein Journalist, der gefragt wurde, ob er dieses Buch schreiben wolle. Wir haben hart recherchiert und 18 Stunden am Tag gearbeitet", sagt er in dem am Montag in Druck erscheinenden Gespräch, das dem Standard vorab vorliegt.

Hall lebt als freier Journalist in Berlin, er schreibt unter anderem für das britische Boulevardblatt Daily Mail. Leidig wohnt in Wien, er leitet die Agentur Central European News (CEN). Ihr gemeinsames Buch, das am Donnerstag in London beim Verlag Hodder & Stoughton erschienen ist, sei ein "spekulativer Schnellschuss", es verbreite "längst widerlegte Lügen", kritisiert Kampusch-Anwalt Ganzger.

Basis: 70.000 Wörter

Das Buch stütze sich vielmehr auf jene "70.000 Wörter", die Kampusch seit ihrer Flucht in Interviews geäußert habe, widerspricht Hall - sowie auf rund 40 teils anonymisierte Gespräche. Bei diesen habe sich auch die - von Natascha Kampusch mehrfach als unglaubwürdig bezeichnete - Vermutung ergeben, Entführer Wolfgang Priklopil habe die Mutter des Opfers, Brigitte Sirny, gekannt: "Tja, wir wiederholen nur, was Nachbarn gesagt haben. Wir wiederholen, was bereits vorher publiziert war", erläutert Hall.

Natürlich - so betont er - hätten er und Leidig gern mit Natascha Kampusch oder ihrer Mutter persönlich gesprochen, doch auf Anfragen hätten sie "keine Antwort erhalten". Nicht gelten lässt er den Einwand, Kampusch habe deutlich abgelehnt, "dass andere an ihrer persönlichen Geschichte Geld verdienen". "Mit dem Argument könnte man ja jede Geschichte verhindern. Das könnte ja auch ein Herr Verheugen verlangen", antwortet der Brite. Günter Verheugen, Vizepräsident der Europäischen Kommission, wird eine Liebschaft mit seiner Assistentin nachgesagt.

Ein wahrer Watschenregen ergießt sich in dem Kampusch-Buch indes auf die heimische Polizei. Die Ermittlungen nach dem Verschwinden der Zehnjährigen seien katastrophal gelaufen, dass Priklopil unter 700 verdächtigen Besitzern weißer Busse nicht identifiziert wurde, sei skandalös: "Die österreichische Polizei würde nicht einmal eine Bierflasche in einer Brauerei finden", so Hall im Focus-Interview. (Irene Brickner/D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 2./3.12. 2006)