Internetportal Ratsit: Verdienstabfrage in Sekunden.

Screenshot: derStandard.at
Seit ein paar Tagen ist in Schweden ein Albtraum für Schuldner wahr geworden: Auf der Homepage www.ratsit.se kann jedermann jederzeit per Mausklick in wenigen Sekunden nicht nur erfragen, was der Kollege oder Nachbar verdient, sondern auch, ob die gesuchte Person einen Eintrag im Schuldnerverzeichnis hat.

"Seit dem Start musste die Seite schon mehrfach wegen Überlastung geschlossen werden. Der Zuspruch hat unsere kühnsten Erwartungen übertroffen", freut sich Johan Forsberg, Chef der Aktiengesellschaft Ratsit, die die Seite von Göteborg aus betreibt.

Publikationsfreiheit

Hans Kärnlöf von der Staatlichen Dateninspektion spricht hingegen bekümmert von einem "Eingriff in die persönliche Integrität". Der Behörde sind aber bisher die Hände gebunden. Das Verbraucherschutzgesetz, so Kärnlöf, werde in diesem Fall vom Grundgesetz für Meinungs- und Publikationsfreiheit "überfahren".

Wichtigstes Stichwort in der umstrittenen Angelegenheit ist das so genannte Öffentlichkeitsprinzip. Viele ausländische Besucher mutet es zwar, gelinge gesagt, exotisch an, in Schweden ist es jedoch schon seit mehr als zwei Jahrhunderten bewährte Praxis. Das Öffentlichkeitsprinzip besagt im Wesentlichen, dass nahezu alle Angaben über jeden Bürger jedem zugänglich sind. So kann jeder Schwede eine rasche und genaue Antwort auf die Frage verlangen, wie viel Steuern der Nachbar zahlt oder wie hoch die Rechnung war, für die der Ministerpräsident mit seinem ausländischen Gast gespeist hat. Der Autofahrer, dem ein anderer Verkehrsteilnehmer suspekt erscheint, kann bei der Straßenverkehrsbehörde den Namen des Fahrzeughalters per SMS erfragen.

Gebündelte Informationen

Großer Beliebtheit erfreuen sich alljährlich die Zeitungsartikel, die unter dem Titel "Unsere Reichsten" akribisch auflisten, wie hoch die Steuerlast ist, unter der im zurückliegenden Jahr Vielverdiener wie die Angehörigen des legendären einstigen Pop-Quartetts ABBA oder die Spitzen der Wirtschaft stöhnten.

Ratsit-Chef Forsberg betont denn auch, die auf der neuen Website bereitgestellten Informationen seien ohnehin öffentlich, wenn auch bis jetzt für den Einzelnen umständlicher zu erfragen gewesen. Das Neue an ratsit.se sei lediglich, dass man diese Informationen gebündelt und in einem neuen Medium anbiete.

Die schwedische Datenschutzbehörde empfängt seit dem Start von ratsit.se nun ihrerseits täglich Anrufe, Briefe und Mails empörter Bürger. Sie will den Sturm um die neue Seite zum Anlass nehmen, erneut auf den möglichen Missbrauch des Öffentlichkeitsprinzips hinzuweisen.

"In den Akten verloren"

Bereits kurz nach der Jahrtausendwende hatte man bei der damaligen sozialdemokratischen Regierung eine Untersuchung über die Aushöhlung des Verbraucherschutzgesetzes in Auftrag gegeben. Die Untersuchung, die ursprünglich im Jahr 2004 fertig gestellt sein sollte, habe sich aber "offenbar im Aktenwust verloren", so Hans Kärnlöf. Nun wolle man im Justizministerium der neuen bürgerlichen Regierung vorstellig werden. (Anne Rentzsch aus Stockholm, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2./3.12.2006)