Verantwortung tragen: Colin und Ruth Webb, beide HIV-positiv, brachten zwei gesunde Mädchen zur Welt.

Foto: Roche
Nach wie vor ist Aids in den westlichen Industrieländern vor allem eine Krankheit der zwei großen Risikogruppen – Homosexuelle und Drogenabhängige – geblieben. Die prophezeite Gefährdung der breiten Bevölkerung ist bislang ausgeblieben. Ganz anders die Situation im südlichen Afrika, dem weltweiten Zentrum der Epidemie, wo zwei Drittel der Aidskranken leben und nach Hochrechnungen der UN derzeit 24,5 Millionen Menschen mit dem Immunschwäche-Virus infiziert sind.

Die internationale Hilfe setzt stark auf Hilfe über Medikamente. Die WHO-Initiative "3 by 5" setzte sich zum Ziel, drei Millionen Patienten in Afrika dauerhaft zu betreuen, konnte ihre ehrgeizigen Pläne bislang aber nicht einmal im Ansatz erfüllen. Die Stimmung auf der diesjährigen Aidskonferenz in Montreal war dementsprechend eher gedämpft.

Dass prinzipiell Hilfe möglich wäre, zeigte eine kürzlich im Journal der amerikanischen Ärztegesellschaft (Jama) publizierte Studie, die ein Forscherteam um Jeffrey Stringer von der Universität Birmingham/Alabama in Lusaka, der Hauptstadt des stark betroffenen Sambia, durchgeführt hat. Seit 2002 begannen zwei Kliniken in einem begrenzten Bereich Lusakas mit der Betreuung von bislang rund 16.000 Aidspatienten. Innerhalb von drei Monaten starben 800 von ihnen, weil die Krankheit bereits zu weit vorangeschritten war. Wer diese Zeitspanne überstand, hatte danach aber nahezu die gleiche Prognose wie Patienten in den Industriestaaten. Nach den bislang ernüchternden Erfahrungen in Afrika war dies eine wirkliche positive Überraschung. Mittlerweile läuft das Programm an 18 Kliniken im Großraum Lusaka. Ermöglicht wurde dieser Erfolg unter anderem auch deswegen, weil es Krankenschwestern und medizinischen Helfern gelang, die Therapie weit gehend ohne Ärzte durchzuführen, an denen in Sambia, wie in den meisten anderen Ländern Afrikas, ein eklatanter Mangel besteht.

"Einen Frachter voll Pillen nach Afrika zu liefern, bringt nämlich gar nichts", sagt Colin Webb, Direktor der "European Coalition of Positive People", die unter anderem Hilfsprojekte im afrikanischen Malawi betreibt. Dort, erklärt Webb, kommt auf 32.000 Patienten ein Arzt. "Es gibt keine Infrastruktur, keine Kühlkette für die Medikamente, niemand der den Patienten bei der komplizierten Einnahme der verschiedenen Mittel zur Seite steht." Ständig, so Webb, würden Patienten ihre Arzneien an andere kranke Verwandte weitergeben, an die Einhaltung der strikten Einnahme-Regime sei gar nicht zu denken. "Und das erhöht natürlich das Risiko, dass die Viren rasch resistent werden." Webb fordert deshalb, dass über all der Hightech-Medizin nicht auf das vergessen wird, was den Menschen wirklich hilft: den Bau von Brunnen und Wasserleitungen, die Einrichtung von Gesundheitszentren und Waisenhäusern. "Das wäre wirksame Soforthilfe, der Rest kann später folgen."

Webb (65), ehemaliger Colonel der Britischen Armee, wurde selbst in Malawi geboren und lebte dort viele Jahre. 1992 erkrankte er schwer und erfuhr in einem Londoner Spital, dass er HIV-positiv war. Wie er sich angesteckt hatte, ist bis heute unklar. Er selbst tippt auf eine infizierte Nadel bei einem früheren Krankenhausaufenthalt.

Virenlast gesenkt

Seine Frau Ruth (44) war asymptomatisch, ihr HIV-Test aber ebenfalls positiv. Um das Übertragungsrisiko auf ihre Kinder so niedrig wie möglich zu halten, nahm die schwangere Ruth das Medikament Fortovase, einen Proteasehemmer, der gleichzeitig die Virenlast senkt und die Erholung der CD4-Zellen fördert. Der Effekt des Wirkstoffes wurde permanent mit dem "Amplicor HIV-1 Monitor", einem vom Basler-Roche-Konzern entwickelten Test gemessen, der mithilfe der PCR-Technologie (Polymerase Kettenreaktion) bereits eine winzige Virusmenge von 50 Kopien HIV-1-RNA pro Milliliter Plasma feststellen kann. "Diese hohe Testempfindlichkeit ist entscheidend, um eine optimale Behandlungsstrategie festlegen zu können", erklärt Roche-Sprecher Horst Kramer.

Bereits wenige Wochen nach der Geburt von Sarah (8) und Anna (6) brachte ein DNS-Test die freudige Nachricht: die Kinder waren nicht infiziert. Heute lebt die Familie in London. Mit ihrer Hilfsorganisation bringt das Ehepaar Webb seine intimen Kenntnisse der afrikanischen Realität nun ein, um die Lebenssituation der Menschen in Malawi nachhaltig zu verbessern. (Bert Ehgartner, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.12.2006)