Kramer: "Die AKP-Regierung von Ministerpräsident Erdogan kann die EU-Entscheidung innenpolitisch auch "positiv" verkaufen. Als Zeichen der Standhaftigkeit gegenüber "ungerechten" Forderungen der EU."

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Der Türkeiexperte Heinz Kramer geht im derStandard.at- Interview davon aus, dass der Rat den Vorschlägen der Kommission folgt und die Verhandlungen mit der Türkei tatsächlich teilweise einstellt.

Die Zypernfrage würde dann frühestens nach den türkischen Parlamentswahlen in einem Jahr wieder zum Thema zwischen Brüssel und Ankara. Das Einfrieren einiger Verhandlungspunkte sei allerdings ein "deutliches Signal an die Türkei, dass sie sich in diesem Prozess den Forderungen der EU zu beugen hat." Die Fragen stellte Manuela Honsig-Erlenburg.

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derStandard.at: "Es wird keine Einigung in der Zypernfrage vor Ende der finnischen Präsidentschaft geben", verkündete vergangene Woche der finnische Außenminister Erkki Tuomioja. Woran sind die Verhandlungen Ihrer Meinung nach gescheitert? War der finnische Vorschlag zu schwach?

Kramer: Der finnische Vorschlag war nicht zu schwach. Er musste jedoch scheitern, weil weder die türkische noch die griechische Seite auf Zypern wirklich bereit sind, Teilfragen des höchst komplexen Zypernproblems losgelöst von einer Gesamtlösung zu regeln.

Hinzu kommt, dass gegenwärtig beide Seiten wieder auf eine Ebene zurückgefallen sind, wie sie schon vor dem gescheiterten Annanplan für alle Bemühungen um eine Zypernregeglung typisch war: Es wird nicht nach dem gemeinsamen Vorteil gesucht, sondern nach einem "Sieg" über die andere Seite. Die türkisch-zyprische Regierung will eigentlich die internationale Anerkennung ihres Staates erreichen, während die griechisch-zyprische Regierung danach strebt, eine für sie vorteilhafte Regelung des Gesamtkonflikts durch eine "Europäisierung" der Zypernfrage herbeizuführen.

derStandard.at: Als Reaktion auf das Scheitern schlägt die Kommission nun vor, acht Kapitel in den Türkei-Verhandlungen einzufrieren. Wird sich der Rat Ihrer Meinung nach an diesen Vorschlag anschließen? Was erwarten Sie?

Kramer: Ich gehe davon aus, dass der Rat letztlich diesem Vorschlag folgen wird, der einigen Mitgliedstaaten nicht weit genug und anderen schon zu weit gehen dürfte. Viel wird nicht zuletzt von der türkischen Reaktion auf diesen Vorschlag abhängen: Wenn Ankara sich nicht zu empört und enttäuscht zeigt, dann wird auch unter den 25 EU-Mitgliedern die Bereitschaft nicht sehr groß sein, in einen intensiven internen Streit über diesen Vorschlag einzutreten.

Allenfalls könnte die Regierung Papdopoulos aus Gründen der innenpolitischen Gesichtswahrung noch einen Versuch zur Verschärfung der EU-Reaktion machen, doch rechne ich eigentlich nicht damit, dass sie dabei Verbündete finden wird.

Kramer: Was würde das für die Türkei bedeuten und wie sinnvoll wären diese Maßnahmen?

derStandard.at: Die Entscheidung ist ein deutliches Signal an die Türkei, dass sie sich in diesem Prozess den Forderungen der EU zu beugen hat, wenn sie irgendwann einmal Mitglied werden will. Andererseits kann die AKP-Regierung von Ministerpräsident Erdogan die EU-Entscheidung innenpolitisch auch "positiv" verkaufen als Zeichen der Standhaftigkeit gegenüber "ungerechten" Forderungen der EU. Dies könnte ihr im beginnenden türkischen Wahlkampf (im November 2007 wird ein neues Parlament gewählt) durchaus zum Vorteil gereichen.

Die EU würde ihrerseits mit dieser Entscheidung zum Ausdruck bringen, dass ihr nichts an einem totalen Abbruch der Verhandlungen liegt und sich deshalb auf das Einfrieren jener Verhandlungskapitel beschränkt, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der umstrittenen Umsetzung des Zusatzzuprotokolls zur Ausdehnung der Zollunion auch auf die Republik Zypern stehen.

derStandard.at: Inwiefern soll die EU auf Zypern mehr Druck ausüben?

Kramer: Es mag in der EU die eine oder andere Regierung geben, die sich mehr Druck auf Zypern wünscht, um die Beitrittsverhandlungen von diesem ständigen Belastungsfaktor zu befreien. Doch sind die Möglichkeiten dafür sehr begrenzt und gehen kaum über verbale Aktionen hinaus. Im Rahmen des EU-Rechts dürfte es keine Ansatzpunkte geben, denn Zypern verstößt mit seiner Haltung nicht gegen dieses.

Und Schritte wie eine einseitige faktische Anerkennung des türkischen Staates im Norden der Insel durch einzelne EU-Mitglieder sind nicht zu erwarten, so lange die Haltung der internationalen Staatengemeinschaft zur Zypernfrage, verkörpert durch die entsprechenden Resolutionen der UNO, sich nicht grundlegend ändert.

derStandard.at: Wie ist die Sicht der USA, was die Annäherung der Türkei an die EU betrifft und inwiefern haben die USA hier Einfluss?

Kramer: Die USA sind seit langem und mit unverminderter Intensität ein Anwalt des türkischen EU-Beitritts. Ihr realer Einfluss auf das Verhalten der Union und der meisten ihrer Mitglieder ist in dieser Frage jedoch recht begrenzt.

derStandard.at: Wie lange wird sich die Zypernfrage Ihrer Meinung nach hinziehen?

Kramer: Es ist nicht damit zu rechnen, dass eine Gesamtlösung des Zypernproblems in relativ kurzer Zeit erreichbar ist. Dem stehen die erwähnten stark divergierenden Grundinteressen beider Seiten entgegen. Und auch die Türkei dürfte einer Gesamtlösung erst dann zustimmen, wenn sie sich berechtigte Aussichten auf einen EU-Beitritt machen kann.

Ich rechne deshalb mit einem Anhalten des gegenwärtigen Stillstands mindestens bis nach den türkischen Parlamentswahlen im nächsten November. Es sei denn, internationale Ereignisse im Mittleren Osten (Iran, Irak, Libanon), deren Eintreten aber heute auch nicht vorherzusehen ist, zwängen die Europäer und die Türkei zu einer Neubewertung des Beitrittsprozesses.