Jeweils montags, mittwochs und freitags eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Es war gestern. Da hat M. ihr Bekenntnis zu Weihnachten öffentlich gemacht. Und ich muss deshalb zugeben: Nicht alles, was in der Vierzeitungen-in-keiner-Zeitung-Zeitung steht ist falsch oder ganz frei erfunden. M. steht wirklich genau so auf Weihnachten, wie sie es in ihrer Kolumne bekannte. Kitschig bis zum Abwinken – aber aus vollem Herzen. Aber das ist nicht der Grund, der mich bekennen lässt: Stellt euch vor, ich habe das Christkind gesehen – und wie jedes Jahr habe ich seither Magenschmerzen.

Zurück zu M.: Die kam Anfang oder Mitte Oktober in den kleinen Sender spaziert – und blinkte. Weil es im halbwegs neuen, aus Deutschland eingesickerten Haushaltswarenladen schon weihnachte. Und das, sagte M., sei super. Während wir sie ein bisserl auslachten (in Weihnachtsfragen sagte sie, sei sie das eh gewohnt) blinkte M. fröhlich vor sich hin: M. hatte ein rote Nase umgeschnallt, die mich an die CliniClows erinnerte. Und sie trug ein etwa 20 Zentimeter über ihren Schopf ragendes, in Plüsch oder Samt eingepacktes Rentiergeweihzitat am Kopf. Weihnachten sagte sie, sei jene Zeit im Jahr, auf die sie sich gar nicht lange genug vorfreuen könnte.

Fotos

Ich machte drei Handypics. Aber weil M. eine sehr sehr nette Kollegin ist, halte ich mich auch an das von ihr umgehend verfügte absolute Veröffentlichungsverbot. Und dachte, es wäre sicher noch eine längere Zeit bis auch die große, breit Masse zwangsbeweihnachtet werden würde.

Aber mitnichten: Zwei Woche später wäre ich nämlich beinahe ins Christkind hineingerannt. Und das wäre meine Schuld gewesen. Denn obwohl es dämmrig und nebelig war, war die Figur, die da über die Hauptallee stakste, schon von Weitem zu sehen. Aber vermutlich ging es mir da so wie Autofahrern, die den einzigen Baum weit und breit treffsicher erwischen – weil sie die Augen nicht abwenden können: Das Christkind war ungefähr drei Meter groß und torkelte mit wehendem weißen Kleid zwischen der spanischen Kneipe und der Bowlingbahn durch das diffuse Praterherbstlicht.

Pirouetten

Beim Näherkommen sah ich dann, dass das Christkind nicht torkelte, sondern Pirouetten drehte. Und das weiße Kleid wehte nicht allein, sondern wurden beim Wehen von zwei jener Fuchteltextilbandgirlanden unterstützt, die rhythmische Gymnastinnen durch die Gegend werfen. Das Christkind aber war allein – und ging auf Stelzen. Und als ich näher kam fuchtelte es seine weißen Bänder in meine Richtung und zog sie knapp vor mir durch die Luft. Dazu rief es mir unter seinem Blinklichterdiadem ein strahlendes „Fröhliche Weihnachten, fröhliche Weihnachten“ zu. Es war Ende Oktober. Mein Magen zog sich zusammen.

Danach ging alles sehr schnell: Gallopierend metastasierte das Klingeling von einem Laden zum nächsten. Weihnachtsschmuck zog sich über die Straßen. Die Charitydichte der Abendtermine begann bedrohliche Ausmaße anzunehmen. Und die ersten Weihnachtskarten, in denen Unternehmen ankündigten, heuer das Geld für die Weihnachtsbestechungsgeschenke zu spenden und deshalb um Verständnis bäten, landeten im Altpapier. Aber das echte Leben war weiterhin frei vom Weihnachtsvorabterror.

Zweiter Stock

Vergangene Woche war es damit dann aber vorbei: Auf der Jörgerstraße, etwa auf halber Strecke zwischen Jörgerbad und Gürtel, streifte mein Blick den Weihnachtsmann. Er hing an der Fassade. So, als wolle er vom ersten in den zweiten Stock klettern. Wäre das ein Kaufhaus gewesen, hätte es mich nicht weiter irritiert. Aber der Weihnachtsmann hing – losgelöst von Weihnachtsstraßenschmuck und Einkaufsstraßenbezug – an einer stinknormalen Wohnhausfassade: Das Virus hat also nun auch auf die Zivilbevölkerung übergegriffen. Und dam Rathausplatz begann der Aufbau der Hütten.

Die Menschen, mit denen ich darüber sprach, seufzten, verdrehten die Augen und sagten, sie würden nun eben die Zeichen der Zeit annehmen, sich ins Schicksal fügen und sich auf das Geschenkewettrennen der stillsten Zeit im Jahr vorbereiten. Glücklich wirkte dabei keiner. Bis auf eine: M. Ihr Lächeln wird derzeit von Tag zu Tag fröhlicher – und ich beneide sie darum aus tiefstem Herzen.