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Eine Bewohnerin des rumänischen Dorfes Glod, das dem britischen Starkomiker "Borat" (unten) als Kulisse für seinen gleichnamigen Film diente und das die Produzenten nun angeblich wegen Rufschädigung klagen will.

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Foto: AP /EPA/Tracey Nearmy
Im rumänischen Romadorf Glod nördlich der Karpaten lebt ein Mann namens Nicu Tudorache. Vor einigen Jahren hat der heute 56-jährige Großvater bei einem Arbeitsunfall seinen rechten Arm verloren. Als Prothese trug er vor wenigen Tagen noch einen Faustdildo - ein Geschenk des britischen Comedy-Stars Sacha Baron Cohen -, bis die Journalistin Carmiola Ionescu ihn aufklärte, was er da mit Klebeband am Armstumpf fixiert hatte und warum Millionen Arschlöcher in westlichen Kinos über ihn lachen.

Es muss über 15 Jahre her sein, dass Freunde und ich eine zweifelhafte Travestie zu einiger Fertigkeit brachten. Wir mischten uns als Agents Provocateurs unter Menschen wie du, aber nicht ich. Um aus ihnen Sexismus, Alltagsfaschismus und Dummheit herauszulocken, gebärdeten wir uns noch faschistischer, sexistischer und dümmer als sie und gefielen uns dann augenzwinkernd als tolle Hechte im Karpfenteich der kritischen Realsatire.

Am besten bewährte diese Methode sich, wenn wir in unseren eigenen, linken Kreisen fündig wurden. Ansonsten jedoch traten bald ihre Mängel, aber auch ihre Motive zutage. Zuallererst, dass die Tore zur Wahrheit, die wir mit viel Lärm einschlugen, gar nicht verschlossen waren, dass sich der heroische Nachweis also, wie dumm Dummköpfe und wie rechts Rechte sind, bloß in eben dieser banalen Tautologie erschöpfte; weiters, dass sich unser kritischer Anspruch ganz schön verdächtig machte, angesichts der wiehernden Freude, wenn uns wieder ein Opfer in die Falle gegangen war, und der Enttäuschung, wenn es nicht den Scheißnazi gab, als den wir es gern haben wollten.

Es war ein Jammer, viele dieser Spaßverderber hätten bei uns, die wir ja alle Querverbindungen des falschen Bewusstseins kannten, zuerst in die Lehre gehen sollen, um das zu werden, dessen wir sie überführen wollten.

Unsere Art der Aufklärung offenbarte nicht die chemische Konsistenz des Abschaums, sondern bloß unsere angemaßte Allmacht im Abschaumbad, an der unsere Fans, zumeist Schnösel mit Mittelschulabschluss und Neigung zum "Titanic"-Abonnement, parasitär teilhatten, da sie nicht die vorgebliche Kritik des Zynismus, sondern den Zynismus unserer Methode, nicht die Kritik des Faschismus, sondern das Herrenmenschliche unserer Tabubrüche beklatschten. Als einziger Effekt der Parodie antisemitischer Stereotype zum Beispiel blieb eine niedrigere Hemmschwelle bei deren Anwendung und das Kokettieren mit ihrer Immoralität. So erteilte uns die Wirklichkeit mit erhobenem Zeigefinger einmal mehr die Lehre, dass sie die Satire stets abzuhängen weiß. Zurück bleibt die automatisierte Persiflage, die, weil sie die Schäbigkeit nicht zu fassen bekam, zum Lehrmodell neuer Schäbigkeit wird.

Wie interessant, anhand Sacha Baron Cohens Film "Borat" zu beobachten, wie diese Methode erneut aus denselben Gründen scheitert, jedoch auf eine ausgefuchstere Wirklichkeit stößt als damals, bei uns, im vorigen Jahrhundert.

Als Ali G hat Cohen die Provokationsrealsatire, die so genannte "Mockumentary", zu manchem satirischen Höhepunkt geführt, mit der Figur des kasachischen Fernsehreporters Borat Sagdiyev indes ist er so subversiv wie ein Exhibitionist in einem dänischen Swinger-Club.

Der wundersamste, völlig unerwartete Effekt von "Borat" aber ist, dass die Wirklichkeit die Satire diesmal nicht übertreffen will, sondern es vorzieht, sie gelassen in ihre Schranken zu weisen. Sie lässt Cohen über den Zynismus seiner Gymnasiastenscherze stolpern und entkleidet diese durch unbeeindruckte Passivität ihres aufklärerischen Scheins.

Einige Beispiele. Wann immer es Borat nicht gelingen will, seine Opfer als reaktionäre Idioten zu entlarven, flüchtet er sich in die sexuelle Provokation, doch seine Gesprächspartner, zumeist smarter als er, finden das nicht schockierend, sondern schlichtweg lächerlich. Die Feministin Linda Stein bricht souverän das Gespräch ab, anstatt ihn dorthin zu treten, wovon er am meisten redet. Ein Autoverkäufer, in dessen markantes Gesicht das europäische Vorurteil sich gerne einen Redneck und Macho hineindenken würde, mahnt ihn zu mehr Respekt gegenüber Frauen, und die fundamentalistischen Christen, in deren Messe sich Borat schleicht, entpuppen sich als hilfsbereite, humorvolle Menschen. Cohens Versuche, die politisch Inkorrekten als auch die politisch zu Korrekten zu bashen, gehen allesamt in die Hose, aus der sie gekrochen sind - vorne wie hinten.

Da hilft nur noch Niedertracht. Einem Autoverkäufer will er Minderheitenfeindlichkeit suggerieren, indem er ihn fragt, welchen Schaden eine Gruppe Zigeuner am Wagen anrichtete, wenn man sie damit rammen würde. Doch auch hier will die Rechnung nicht aufgehen, da das Publikum sofort merkt, dass der gute Mann nur deshalb Rede und Antwort steht, weil er das Wort "Zigeuner" überhört hat und allgemein von Menschen ausging. Wieder nichts!

Was tun? Ab in den Bible-Belt! Der ultrarechte Rodeoveteran Bobby Rowe spendet ihm endlich die Sager, um die er dauernd bettelt, doch selbst das Publikum im Rodeostadion von Salem, Virginia, reagiert mit Bestürzung, als Borat durchs Mikrofon seinem Wunsch Ausdruck verleiht, die Amerikaner würden jeden Mann, jede Frau und jedes Kind im Irak töten.

Satire darf sich so viel Obszönität, Zynismus und Geschmacklosigkeit leisten, wie sie will, so diese als Mittel zur tieferen Einsicht in die verborgenen Obszönitäten, Zynismen und Geschmacklosigkeiten der Gesellschaft dienen. Dass das möglich ist, dafür bürgt eine würdige Traditionslinie, die sich von Jonathan Swift über Nestroy bis zu den "Simpsons" spannt und der sich Baron Cohen nur in Ansätzen anschließen will. Denn der Spaß am Dreck ist größer als der Ekel davor, und der Witz affirmiert, indem er sich ihm angleicht, den Dreck.

Zeitgeistiger ausgedrückt: Wer Arschlöcher verarscht, ohne eine Welt ohne Arschlöcher zu wünschen, ist kein Kritiker, sondern ein Bandwurm. Wer aber unter dem Vorwand von Gesellschaftskritik die Bandwürmer mit Überlegenheitsgefühlen füttert, ist selbst ein Arschloch. Sacha Baron Cohen als solches zu bezeichnen, als so großes sogar, dass alle Faustdildos dieser Welt es nicht ausreichend stopfen könnten, würde jeder Ehrenbeleidigungsklage standhalten, so sich die Einwohner des Romadorfs Glod als Zeugen der Anklage gewinnen ließen. Denn was die Journalisten Bojan Pancevski und Carmiola Ionescu vor wenigen Tagen über die Produktionsbedingungen des Films "Borat" herausfanden, könnte den Ort zum Waterloo der westlichen Spaßkultur werden lassen. "Borats Heimatdorf" liegt nämlich nicht in Kasachstan, sondern in Rumänien.

Und dass Cohen gerade einen realen Staat für sein fiktives Zurückgebliebistan aussuchte, dürfte gleichfalls kein Zufall sein. Kasachstan, multikulturell, gemäßigt islamisch und relativ frei von Judenfeindlichkeit, ist weit entfernt und würde keine als Pizzaboten verkleideten Gotteskrieger an Cohens Adresse schicken. Wir sehen: Feig- und Gemeinheit verabreichen sich in ihm die Bruderfaust.

Ob Rumänien oder Kasachstan, den westlichen Kulturjunkies ist es einerlei, sie bedürfen der ewigen Balkanfiktion eines schmierigen halbzivilisierten Ostens, um ihn wegen des Drecks, mit dem sie ihn beschmieren, zu verspotten - oder zu romantisieren.

Die Einwohner von Glod hätten bereits stutzig werden sollen, als Cohen ein Pferd vor sein Auto spannen ließ und sie dazu angehalten wurden, Kühe in ihre Wohnzimmer zu führen. Bis zu Drehschluss lebten sie in dem Glauben, wie Pancevski und Ionescu in einem vor kurzem erschienenen ihrem spektakulären Artikel für Mail on Sunday berichten, man würde die Welt durch eine Sozialreportage auf die menschenunwürdigen Lebensbedingungen in ihrem Dorf aufmerksam machen.

Diese Welt hingegen lernte sie als Menschen kennen, die es mit ihren Tieren und Kindern treiben, Pferde-Urin trinken und gerne Juden jagen. Da lachen ganze Cambridger Rudermannschaften und die Schnösel krächzen wieder ihr unerträgliches "Hi hi, politikäli ingorrekt!"

Der Mann, den Borat im Vorübergehen als "größten Vergewaltiger" des Dorfes vorstellt, bekam - so wie der "Dorfschweißer und -abtreiber", so wie die Frau, die er als seine Schwester und vierterfolgreichste Hure Kasachstans vorstellt - 14 Lei (4 Euro) für seine Statistenrolle. Cohen & Produzenten stiegen bei dem Deal erwartungsgemäß als Gewinner aus:

Sie spielten mit "Borat" an einem Wochenende 20 Millionen Dollar ein und bekamen als Mehrwert auch noch die Gastfreundschaft und die gegrillten Schweine einer Gemeinde ohne Arbeit, Hoffnung und Fließwasser. Glod war gut gewählt, nirgends in Europa sind Menschen recht- und schutzloser. Gemäß der Hackordnung des kapitalistischen Systems ist es nur konsequent, dass die Unterhaltungsindustrie ihre Häufchen dorthin macht, wo Kläger unwahrscheinlich sind, und sich den Hintern mit der Gutgläubigkeit der so Erniedrigten auswischt. Da grunzen die rechten wie die linken Säue in Ein- und Niedertracht, Letztere mit der Rechtfertigung, Ali G alias Cohen sei ein Guter, weil er Antisemitismen aufdecke. Aber vielleicht macht er diese nur noch salonfähiger. Wer weiß!

So viele modische walisische und iranische und jüdische Ethnizitäten Sacha Baron Cohen zur Legitimation seines Campushumors auch auffahren lässt, in seinem Witz verbiedert sich der Cambridge-Schnösel mit dem gehobenen linksliberalen Mittelstand gegen die Schwächeren. Warum, fragt sich die Feministin Linda Stein, welcher Borat im Film nichts anhaben konnte, in der Times ganz zu Recht, "hat Cohen nicht die Heuchler aus Harvard oder andere Intelligentsia verspottet?" Ganz einfach, weil's sich Pionierinnen der Frauenrechte und rumänische Zigeuner einfacher beschmutzen lässt als das eigene Nest.

Eine "Mockumentary" von neuem, von höherem Niveau ließe Nicu Tudorache, den Einarmigen aus Glod, in den Westen reisen und souverän all die pseudolinken Spaßkultur-Schnösel in all ihrer prachtvollen Lächerlichkeit erstrahlen. Am Höhepunkt eines solchen satirischen Kunstwerks würde er an der Tür von Baron Cohens Luxusapartment in L. A. läuten, nicht um seinen und seines Dorfes Anteil an den 20 Millionen zu fordern, sondern den Faustdildo zurückzuerstatten, und zwar dort, wo er hingehört. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.11.2006)