Die Unesco gab dieses Jahr ihren Kommentar zur Kuppel der Jahrhunderthalle ab: Ein Brückenschlag in die Moderne sei sie und damit Weltkulturerbe.

Foto: www.wroclaw.pl
Ein Stahlbeton-Kuppelbau mit gigantischen Ausmaßen - so etwas hatte Anfang des 20. Jahrhunderts kein Mensch je gesehen. Eine Superlative sollte die Jahrhunderthalle in Breslau/Wroclaw bis heute bleiben, wenn auch lange Zeit verkannt. Ihr Gewölbe ist im Querschnitt anderthalbmal größer als das des Pantheons in Rom. Dabei hat es nicht einmal die Hälfte seiner Masse. Die Rippenkonstruktion, die sich über 65 Meter spannt, war im Jahr der Eröffnung 1913 die größte und kühnste überhaupt. Ein architektonisches Meisterwerk von Weltrang, befand jüngst die Unesco und setzte die Hala Ludowa - "Volkshalle", wie die Jahrhunderthalle seit 1945 heißt - dieses Jahr auf die Liste des Weltkulturerbes.

Das Monumentalwerk des deutschen Architekten Max Berg hat sich als ein Brückenschlag erwiesen - in vielerlei Hinsicht. Wo wäre sein Platz sinnreicher als in einer Stadt mit rund 120 Brücken und Stegen über die weit verzweigten Flussarme. Eine der bekanntesten Brücken über die Oder ist sicher die Most Tumski (Dombrücke), die sich von der Sandinsel zur Dominsel hinüberstreckt. Im Jahr 1000 wurde hier, auf der Dominsel, das Bistum gegründet. Damit begann die Geschichte Breslaus.

Übers Eck reich geerbt

Wroclaw ist heute eine pulsierende Stadt mit knapp 640.000 Einwohnern. Wirtschaftlich aufstrebend, mit reichem Kulturerbe. Die wechselvolle Geschichte hat an allen Ecken und Enden Spuren hinterlassen - in Bauwerken, Bräuchen, Inschriften und Redewendungen. Mit den preußischen, den habsburgischen und böhmischen, den polnischen, schlesischen und jüdischen Wurzeln ist Wroclaw eine im besten Sinne europäische Stadt.

Hier die Universität mit ihrer habsburgisch-barocken Aula Leopoldina. Dort die Überreste der ehemaligen Hohenzollern-Residenz. Ein Stück weiter die klassizistische Synagoge zum Weißen Storch - vor dem II. Weltkrieg eine von zahlreichen Synagogen im Stadtgebiet.

Jahrmarkt der Stile

Der Rynek, der lebhafte Marktplatz mit seinen rund 80 Restaurants, Cafés und Kneipen, ist eingefasst von historischen Gebäuden unterschiedlichster Epochen. Im Zentrum das spätgotische Rathaus mit dem berühmten Schweidnitzer Keller, Piwnica Rwidnicka.

Wichtigstes Wahrzeichen der Stadt aber blieb über alle Zeitenwenden hinweg die Jahrhunderthalle, die Hala Ludowa. Einen Brückenschlag stellte sie schon dar, als sie 1913 für die Internationale Jahrhundertausstellung errichtet wurde: Eine Brücke genau 100 Jahre zurück in die Vergangenheit, als Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig durch die Verbündeten Österreich, Russland, Preußen entscheidend geschlagen wurde. An den Sieg - und seinen lokalen Bezug - sollte die Weltausstellung erinnern.

Max Berg war elektrisiert von der technischen und baustofflichen Machbarkeit. Zugleich spiegelte sich in der sakralen Architektur der Jahrhunderthalle Bergs mystische Erfahrungen und dessen Faszination für die Gotik. Von außen erinnert die Form sogar ein wenig an den Turmbau zu Babel. Inspirieren ließ sich Berg auch von dem österreichischen Expressionisten Oskar Kokoschka. Ursprünglich sollte die Jahrhunderthalle innen sogar von Kokoschka ausgestaltet werden. Wichtiges Leitmotiv war für Berg der Kristall als "Quelle neuen Lebens und der neuen Kunst". Glas und Licht waren von großer Bedeutung.

Die Monumentalität war ein Gebot der Zeit: In ihr fanden Architekten eine neue Sprache, die sich bewusst vom Historischen abwandte. Das Gigantische war zugleich eine gesellschaftspolitische Überzeugungstat. Berg wollte damit nicht sich selbst ein Denkmal setzen, auch nicht dem Kaiser - sondern dem Volk. Er glaubte an Demokratie und an Gleichheit der Klassen. Statt für Bildungseliten baute Berg für die Massen - ihnen huldigte er mit Symbolen der Dombaukunst. Eine Kathedrale "für die große Seele der Menschheit".

Ungereimtheiten

Der schlesische Literat und Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann stützte diese Idee. Zur Eröffnung der Jahrhunderthalle schrieb er das "Festspiel in deutschen Reimen". In der nationalistischen Stimmung kurz vor dem Ersten Weltkrieg galt das Stück jedoch als "unpatriotisch" und fand wie auch viele Ideen Bergs und Poelzigs keine Anerkennung.

Zeugnis des visionären Schaffensdrangs des frühen 20. Jahrhunderts ist auch das Ausstellungsgelände am Scheidniger Park, das die Breslauer Jahrhunderthalle umgibt - ein Ensemble, das Max Berg zusammen mit Hans Poelzig, damals einer der bekanntesten Architekten Schlesiens, entwickelte.

Noch heute wird es als Ausstellungsgelände und Kulturort genutzt. Dazu gehören der Pavillon der Historischen Ausstellung mit seinen vier Kuppeln, die Pergola, das Wasserbassin und das weite Gelände der Gartenbauausstellung. Kunstvoll ins Ensemble eingepasste provisorische Pavillons wurden nach der Weltausstellung abgerissen; der Unterhalt war schlicht zu teuer. Die später von Berg konzipierte Markthalle mit ihren Holzstreben brannte im Zweiten Weltkrieg ab. Von der Gartenbaukunst geblieben sind lediglich Ansätze eines Japanischen Gartens.

Heute spannt sich das Eisenbeton-Rippengewölbe der Jahrhunderthalle über Konzertsäle, Bühnen und Zuschauerplätze. Marlene Dietrich sang unter ihm, und Papst Johannes Paul II. hielt 1997 unter der Kuppel eine Eucharistiefeier. Messen wirtschaftlicher Art wurden lange Zeit in der Jahrhunderthalle, der Hala Ludowa, abgehalten. Sie überdachte den "größten Kinosaal Polens", Schauen, Revuen und Sportveranstaltungen. Auf diese Weise schlug die Halle eine Bogen um ein heikles politisches Kapitel und blieb ihrer Bestimmung als Dom des Volkes treu. (Laelia Kaderas/Der Standard/Printausgabe/18./19.11.2006)