"Ich habe das Bewusstsein geschärft für Verslummung, Verjahrmarktung und Verlederhosung der Inneren Stadt", meint Ursula Stenzel nach einem Jahr City-Regentschaft.

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Im Kleinkrieg mit dem Rathaus, Wirtschaft und NGOs ist sie immer wieder an die Grenzen ihrer Kompetenzen gestoßen.

„Na, wovon lebt denn der Tourismus?“, fragt Ursula Stenzel, um nach einer bedeutsamen Pause gleich die Antwort zu liefern: „Die Leute kommen her wegen der Schönheit der Stadt. Sie kommen weder her, weil es hier besondere Gaukler gibt, die ausgerechnet auf dem Stephansplatz trillern oder streetdancen, noch kommen sie her wegen der Drogenszene oder wegen der Bettler.“ Damit umreißt die prominente Bezirksvorsteherin der Wiener Innenstadt ihr Programm.

Ihre aus Funk und Fernsehen bekannte Stimme erhebt die Ex-Moderatorin und ehemalige EU-Abgeordnete der ÖVP auch, wenn sie von „kampftrinkenden Jugendlichen“ und einer „außer Rand und Band geratenen Drogenszene“ erzählt, von „als Straßenkünstler kaschierten Bettlern“ und Müttern mit Kindern, „die über Spritzen, Kot und Erbrochenes steigen müssen“ – man könnte meinen, sie spreche von einer sich selbst überlassenen amerikanischen Inner City.

„Es geht mir darum, der Innenstadt einen gewissen Stil zu geben, eine Ästhetik“, versichert Stenzel. Als ganz und gar nicht ästhetisch, sondern als optische und akustische Beleidigung empfindet sie Punsch- und Marktstände im Allgemeinen sowie den alljährlichen Silvesterpfad im Besonderen – der ungeachtet von Stenzels Bedenken über die Lärmentwicklung auch zum kommenden Jahreswechsel wieder stattfinden wird. „Ich bin mir schon bewusst, dass das eine große Einnahmequelle ist“, gesteht Stenzel ein. „Es geht um das Wie.“ Deshalb basteln Studenten der Meisterklasse des italienischen Designers Paolo Piva im Auftrag Stenzels nun Designerstandln – als Teil eines von Fachleuten zu erarbeitenden „ästhetischen Manifests“.

Doch was ist geblieben von Stenzels Forderungen nach mehr Law and Order, die ihr den Vorwurf einbrachten, das pulsierende Herz Wiens in ein „Museum“ oder einen „Friedhof“ verwandeln zu wollen? „Bewegt habe ich, dass man den Bürgern das Gefühl gegeben hat, dass sie hier Kritik üben können an dem, was man oft das Kippen in der Innenstadt nennt.“ Die Schärfung des Bewusstseins für die „Verslumung“ und „Verjahrmarktung“ oder gar die „Verlederhosung“ der Wiener Innenstadt ist für Stenzel der größte Erfolg ihrer nunmehr knapp ein Jahr andauernden City-Regentschaft.

Die „Seele der Innenstadt“ will Stenzel bewahren. Und damit den Stephansplatz. „Das spirituelle Zentrum Österreichs“ wird in den Augen der forschen Politikerin überschwemmt von Werbeveranstaltungen und politischer Agitation. Im Frühjahr rief sie eine „Respektzone“ rund um den Dom aus, in der nur noch ausgewählte kirchliche Veranstaltungen geduldet werden und reihenweise Bittsteller verwiesen werden. Sogar der Verein „Rettet den Stephansdom hat auf Stenzels Wunsch hin seinen Punschstand, bei dem Spenden für die Domsanierung gesammelt werden, aufgegeben.

„Politische Kraftprobe“

In anderen Fällen stieß die Bezirkspolitikerin an die Grenzen ihrer Kompetenzen. So blieb der Versuch, ein Fest der Clowndoktoren „Rote Nasen“ auf dem Stephansplatz zu unterbinden, erfolglos, da die Entscheidung über Veranstaltungen trotz Mitsprachrechts des Bezirks letztendlich dem (roten) Rathaus obliegt. „Das war eine bewusst gesuchte politische Kraftprobe“, glaubt Stenzel. „Sie wollten beweisen, dass es noch mehr Remmidemmi auf dem Stephansplatz gibt als vor meiner Zeit, um mich ad absurdum zu führen.“ Doch selbst mit kirchennahen Organisationen wie der Caritas legte sich die „gläubige Katholikin“, die es „aus Zeitgründen nicht so oft, wie ich es möchte“, in die Messe schafft, an. Den Caritas-Aktionstag zu Armut bezeichnete sie als „SPÖ-Veranstaltung“.

Mit der Rathauspartei liefert sich Stenzel von ihrem Amtssitz im Alten Rathaus aus einen permanenten, nicht an Skurrilität armen Kleinkrieg, vor allem zu Fragen der Verkehrsberuhigung.

Kurz nach ihrem Einzug in die City initiierte Stenzel eine umstrittene Stadtteilbefragung, um den Bau einer Tiefgarage am Neuen Markt zu verhindern. Nach einem ablehnenden Votum der befragten Anrainer war das Projekt für Stenzel gestorben – und damit auch die dringend notwendige Neugestaltung des vor allem als Parkfläche genutzten Platzes, die die Garagenfirma bezahlt hätte. Seither herrscht Stillstand – der Bezirk ist bei der Neugestaltung finanziell auf das Rathaus angewiesen.

Zuletzt kam es zum Eklat, weil SP-Verkehrsstadtrat Rudi Schicker die von Stenzel verfügte Verwandlung der Gonzagagasse in eine Einbahn kurzerhand wieder aufhob. Die Verbindungsstraße vom Ring zu den Beisln am Rudolfsplatz ist jetzt nur noch des Nachts eine Einbahnstraße – und somit sollte sowohl der Schlaf der Anrainer als auch das Auskommen der ansässigen Geschäftsleute gesichert sein.

„Ich habe einen guten Draht zu Bürgermeister Häupl“, beteuert Stenzel, um im nächsten Atemzug zu warnen: „Sollte es die Politik der Stadt Wien sein, die Bürger der Inneren Stadt dafür zu bestrafen, dass sie mich gewählt haben, dann kehrt sich das nicht gegen mich, sondern gegen die Bürger und damit gegen die Stadt Wien.“

Unter einem Hut mit der Stadt Wien wähnt Stenzel auch „Teile der Wirtschaftskammer“. „Es wird über die Innere Stadt verfügt, als ob sie Privateigentum wäre“, echauffiert sich die Bezirksvorsteherin über „die selbstherrliche Vorgangsweise“.

Nach den bislang unerfüllt gebliebenen Forderungen nach weniger Schanigärten, mehr Videoüberwachung und lokalen Alkoholverboten bereitet Stenzel ihr nächstes Projekt vor: Die Reform der Straßenkunstverordnung, um Plätze zu definieren, an denen Künstler auftreten dürfen. „Sie überschreitet ihre Grenzen“, heißt es aus dem Büro des zuständigen Kulturstadtrats. „Das wird im Bereich der Wünsche bleiben.“ (Karin Krichmayr, DER STANDARD – Printausgabe, 18./19. November 2006)