Sabine Freizer ist seit 2004 Direktorin der Kaukasus-Abteilung der International Crisis Group in der georgischen Hauptstadt Tiflis.

foto: privat
Während Georgien russische Offiziere publikumstauglich als Spione brandmarkt, stoppt Russland Wein? und Mineralwasserimporte aus Georgien. Wirtschaftlich prekär für das Land. Ob der große Bruder Gas als Waffe einsetzt, bleibt abzuwarten. Die Preise von 1.000 Kubikmeter Gas sind bereits von 110 Dollar auf 213 Dollar erhöht worden.

Am Sonntag wird in der abtrünnigen Provinz Südossetien im Norden Georgiens ein neuer Präsident gewählt und man entscheidet in einem Referendum über die Unabhängigkeit des Landes. Die internationale Staatengemeinschaft erkennt beides nicht an. Kaukasusexpertin Sabine Freizer vom unabhängigen Think Thank International Crisis Group über alte Machtspiele, gefährliche Provinzen und teure Energiealternativen. Die Fragen stellte Solmaz Khorsand.

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derStandard.at:Was kann man sich vom 12. November erwarten? Wie sieht der Status Quo aus?

Freizer: Es ist sehr gespannt. Nur um ein Beispiel zu nennen: Erst vor einigen Tagen wurden vier Menschen von Offizieren aus Südossetien getötet, weil sie glaubten es seien Georgier. Die georgische Regierung weigert sich bisher sowohl die Wahlen als auch das Referendum anzuerkennen. Für sie handelt es sich um illegale Aktionen.

derStandard.at: Wie wird Georgien auf den Ausgang dieses Wahltages reagieren?

Freizer: Ich hoffe die Georgier ignorieren das Referendum und die Wahlen.

derStandard.at: Ist eine militärische Eskalation wahrscheinlich?

Freizer: Das glaube ich nicht. Die Situation ist seit Sommer 2004 sehr angespannt. Hin und wieder kommt es zu Auseinandersetzungen. Es gibt Schusswechsel oder Menschen kommen durch Landminen ums Leben. Unglücklicherweise gab es bisher keine Demilitarisierung der Zone. Außerdem sind sehr viele Waffen im Umlauf. Meine Vorhersage: Ich glaube nicht, dass die georgische Regierung militärisch intervenieren wird, aber dass unter Umständen kleine Vorfälle eskalieren könnten.

derStandard.at: Welche Rolle spielen die Russen in Südossetien? Inwiefern verschärfen sie den Konflikt?

Freizer: Einerseits spielen sie eine positive Rolle, weil sie 500 Peacekeeper in der Region stationiert haben, als Teil der Joint Control Commission (einer Friedenstruppe bestehend aus Georgiern, Russen, Nord-und Südossetiern, Anm.).

Andererseits sind sie Teil des Problems. Sie verteilen russische Reisepässe, bezahlen Pensionen aus, und es gibt auch Vorwürfe, dass sie Südossetier mit Waffen versorgen, was schwer zu beweisen ist. Fest steht: Es kommen Waffen in die Konfliktzone, vielleicht nicht direkt über die russische Regierung, aber durch russische Staatsbürger, was sehr beunruhigend ist. Man muss auch bedenken, dass viele Russen wichtige Positionen in der Regierung in Südossetien haben.

derStandard.at: Warum interveniert Russland so stark in Südossetien?

Freizer: Einerseits ist es natürlich das typische politische Machtspiel. Georgien wird von Russland noch als Teil seiner Einflusssphäre betrachtet, den es nicht verlieren möchte. Und dazu gehört auch Südossetien. Andererseits ist dieser Anspruch auch historisch bedingt. Nord- und Südossetier sehen sich als eine nationale Gruppe. Das Land wurde aus ihrer Sicht zu Unrecht in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts geteilt. Nach dem Krieg in den 90ern zwischen Georgiern und Südossetiern haben sich die Verbindungen zum russischen Norden verstärkt. Wer heute in Südossetien studieren oder arbeiten will, geht in den Norden. Zu Georgien besteht kaum Kontakt.

derStandard.at: Kommen wir zum Auslöser der derzeitigen Krise zwischen Georgien und Russland: War es notwendig die vier russischen Offiziere öffentlich vorzuführen?

Freizer: Nein, das war es nicht. Es war unklug, dass der georgische Präsident Sakaschwilli daraus so ein mediales Ereignis gemacht hat. Es wäre besser gewesen die Sache diskret zu behandeln. Man wollte ein Exempel statuieren, um in Zukunft Spionage vorzubeugen. Doch dieser Vorfall hat den Beziehungen zu Russland extrem geschadet. Andererseits muss man sagen, dass die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Georgien genauso wenig zu einer Entspannung der Situation beitragen.

derStandard.at: Konnten Präsident Sakaschwili und seine Partei vom Konflikt innenpolitisch profitieren?

Freizer: Sakaschwili hat die georgische Bevölkerung hinter sich, sogar die Opposition. Daher ist im Land niemand, der den Präsidenten in punkto Russland anzweifelt. Durch den Konflikt ist seine Popularität gestiegen. Zwar hat das Land wirtschaftliche Probleme, aber die Leute sind bereit diese zu ignorieren, weil sie voll hinter ihrer Regierung stehen.

derStandard.at: Besteht die Gefahr, dass Russland seine Erdgaslieferungen als politisches Druckmittel missbraucht und den Georgiern den Gashahn zudreht?

Freizer: No way. Fest steht: Armenien ist abhängig von dem Gas, das über Georgien in das Land kommt. Wenn Russland Georgien den Hahn abdreht, hat das unweigerlich Konsequenzen für Armenien. Und hier ist die Frage, ob Russland so weit gehen will, beide zu bestrafen. Armenien zählt zu Russlands wichtigsten Verbündeten.

derStandard.at: Ist Georgien vorbereitet auf ein derartiges Szenario?

Freizer : Sie schauen sich überall nach Alternativen um z.B. in Aserbaidschan oder dem Iran. Die Frage ist ob sie die Kapazitäten haben von dort ihr Gas zu beziehen. Und dann ist natürlich noch die Frage nach des Preis. Russland verlangt nach wie vor weniger als den Marktpreis für sein Gas. Wenn sie mit dem Iran einen Deal aushandeln, werden die den Marktpreis verlangen. Das wird auf jeden Fall teuer werden für Georgien. (derStandard, 10.11.2007)