Sehr viel Cremetorte, sehr viel Rosa, sehr viel Fadesse und ein sehr enttäuschender Film: Kirsten Dunst räkelt sich durch Sofia Coppolas hippes Kostümdrama "Marie Antoinette".

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Es gibt, verkürzt gesagt, Menschheitsepochen, in denen Geschichten über "poor little rich girls" angesagt sind. Und es gibt solche, in denen sich das Publikum fragt, warum gewisse kleine Prinzessinnen (mit Erbse oder ohne) eigentlich so despotisch und blindwütig gierig sind.

Letztere Geschichten erzählt man bzw. die Unterhaltungsindustrie bevorzugt in Zeiten von Umstürzen oder zumindest Marktumschichtungen - wenn zum Beispiel gewissen Filmproduzenten nichts mehr einfällt, und dann macht man sich mehr oder weniger boshaft über diese Tycoons (und ihre Töchter) lustig. Erstere Geschichten sind meist ein etwas süßlicher Abklatsch einer gewissen Sicherheit: Glanz und Reichtum vermehren sich, die Mauern rund um die feudalen Anwesen werden immer höher. Was können die herzensguten Menschen dafür, die sich hinter ihnen verschanzt haben? Es ist ganz gewiss eine Tragödie, aber nicht die des wütenden Mobs, der draußen an die Flügelportale hämmert. Daneben aber: Party on! Super Musik und jede Menge Designer-Klamotten.

Wie es sich gegenwärtig mit der Selbstwahrnehmung der US-amerikanischen Upper-Class verhält, konnte man heuer bei den Filmfestspielen in Cannes ermessen, als Sofia Coppola ihr neuestes, bis dato aufwändigstes Werk "Marie Antoinette" präsentierte. Fräulein Coppola, deren Pressekonferenzen von Vater Francis Ford höchstpersönlich überwacht werden, und deren Reputation sich nicht zuletzt der Hoffnung verdankt, dass sie ein beträchtliches filmisches (Familien-) Erbe weiter verwalten und fortsetzen möge - diese junge Dame hatte bis dato mit zwei kleineren Filmen über arme reiche Leute einiges Aufsehen erregt. Nach "The Virgin Suicides" und nach "Lost in Translation" (für das leider nicht Hauptdarsteller Bill Murray, sondern das, ja doch, sehr charmante Drehbuch den Oscar erhielt), sollte sie nun wohl beweisen, dass die Fußstapfen ihres Vaters nicht zu groß sind. Also regierte schon im Vorfeld von "Marie Antoinette" der historische, historisierende Superlativ.

Erstmals als US-Filmcrew im überwältigenden Ambiente von Versailles drehen dürfen! Quasi den Franzosen die erste ultimative Adaption der Revolutionsgeschichte aus der Sicht der dekadenten Monarchie abnehmen dürfen! Schon im Vorfeld eine von Annie Leibovitz fotografierte Modestrecke in Vogue lancieren können! Unter einem sehr bezeichnenden Titel: "The Teen Queen Who Rocked Versailles".

Die Hauptthese des Films

Es gibt ein sehr berühmtes Zitat der jugendlich-unbedarften Gemahlin von Ludwig XVI., dieses Zitat sei aber auf höchst ungerechte Weise falsch. Es lautet: Wenn die Armen da draußen kein Brot kaufen könnten, "dann sollen sie doch Kuchen essen!" Dass Marie Antoinette so etwas nie gesagt hat, sagt sie im Film selbst. Also die Hauptdarstellerin Kirsten Dunst sagt es, gegen Ende zu, wo immer klarer wird, dass der König sich ein bisschen zu viel um Gartenarchitektur und ein bisschen gar nicht um die Realpolitik gekümmert hat. Und dass Marie Antoinette gar nicht anders konnte, als Madonna-exzentrisch zu werden, weil die ganzen Hofrituale und der viele Pomp den Terminkalender derart voll räumen, dass man nebenher bestenfalls einen Liebhaber anbeten oder in frühen Erlebnisparks das Landleben verherrlichen kann.

"Wenn man Sie gebeten hätte, das Leben und Wirken von Paris Hilton zu verfilmen und abzufeiern, hätten Sie dem auch zugestimmt?" Sofia Coppola reagierte auf solche Fragen in Cannes mit eher unwirschem Erstaunen: "Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen, dazu will ich mich nicht äußern."

Stattdessen äußerte sie sich zu ihrer Liaison mit Phoenix-Sänger Thomas Mars, über den etwas erratischen Einsatz zeitgenössischer Pop-Balladen im Film, über ihre eigenen Erfahrungen als Model und darüber, dass man Marie Antoinette völlig ungerecht eingeschätzt habe. War sie möglicherweise gar eine zweite Prinzessin Diana? Na, und die Kostüme von Milena Canonero, die sind - das können wir bestätigen - wirklich Weltklasse.

Kurz: Hier überzog eine junge Dame ihr intellektuelles Konto gewaltig. Und hinten saß in all seiner Autorität der Herr Papa, den man für so ein zynisches, die Geschichte des Kostümmelodrams in keinster Weise mitbedenkenes Werk in den 70er-Jahren vermutlich geteert und gefedert hätte. Er wachte zornig darüber, dass man seine Tochter nicht so ungerecht behandelt, wie das einst mit Marie Antoinette der Fall war.

Und so haben wir mit diesem Film einmal mehr ein US-Spektakel vor uns, das weniger einem Thema, geschweige denn (einer) Geschichte gerecht wird, als vielmehr den Anforderungen für diejenigen, die heute Aufwand betreiben wollen: Grandezza wird behauptet, wo man möglicherweise lediglich eine Soundtrack-CD für die nächste schnelle Party verkaufen kann. Viel Spaß?! (Claus Philipp/Der Standard/rondo/03/11/2006)