Ein Artikel in Science ist für viele Wissenschafter erstrebenswert. Simron Jit Singh füllte in der Juliausgabe gleich vier Seiten, aber nicht als Autor, sondern als Person. Seit 1999 forscht der Inder in Wien am Institut für Soziale Ökologie der Universität Klagenfurt. Sein Spezialgebiet sind die Nikobaren, eine Inselgruppe 1200 Kilometer östlich des indischen Subkontinents, die Ende 2004 ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit geriet. Der Tsunami dezimierte die 30.000 Bewohner auf 24 Inseln um ein Drittel. 9500 Menschen starben oder gelten als vermisst. Dann fielen die Hilfsorganisationen ein und machten die Einheimischen endgültig hilflos. "Wenn Fürsorge zum Missbrauch wird", nannte der 1969 geborene Ökologe einen Artikel, in dem er ungeeignete Maßnahmen kritisierte.

Seit seiner Kindheit schreibt Singh Gedichte und studierte zunächst Englische Literatur in Neu-Delhi. Behütet, mit Blick auf den Himalaya aufgewachsen, bedrückte ihn die große Stadt und ihre bitterarmen Bewohner. Seinen Abschluss machte er in Ökologie, um viel in der Natur zu sein und sich dem Traumberuf anzunähern: dem Schreiben über "menschliche Angelegenheiten". Im schwedischen Lund studierte er Humanökologie und beschäftigte sich danach viel mit Subsistenzwirtschaft: "Authentische Menschen inspirieren mich, ihre Probleme interessieren mich", sagt er.

Eine Sondergenehmigung erlaubte ihm ab 1999, die Nikobaren, militärisches Sperrgebiet, zu betreten. Er kam als klassischer Völkerkundler, begleitete die Insulaner über Wochen, sammelte Eindrücke, beobachtete, fragte sie aus, machte Notizen und Fotos. Weil er immer wieder kam, wich das Misstrauen der Bewohner, deren Inseln, an einer Handelsroute gelegen, gleich mehrmals - von 1778 bis 1785 auch von Österreich - kolonialisiert worden waren. Singhs Wissen über ihre Lebensweise, Kultur und Geschichte darf als einzigartig bezeichnet werden. Trotz akademischer Anwesenheit und strikter Nichteinmischung wurden die Forschungssubjekte auch seine Freunde.

Als ihn nach dem Tsunami ihr Hilferuf erreichte, "hatte ich keine Wahl", sagt Singh. Seither ist er Sprachrohr und Berater von Menschen, die ihm bedingungslos vertrauen. Kultgegenstände, Traditionen und ökonomische Grundlagen hat die Welle vernichtet. Nun gilt es, nachhaltige Lebensgrundlagen aufzubauen. Dazu wurde in Österreich der Sustain-able Indigenous Futures (SIF) Fonds eingerichtet. Im September 2005 kamen sechs Clanchefs nach Österreich, um Bedürfnisse und Prioritäten zu besprechen. So hatte der wissenschaftliche Beirat Gelegenheit, die Menschen kennen zu lernen, um deren Zukunft es geht. "Nikobaresen sind keine Museumsstücke. Die Globalisierung wird kommen, und ich will, dass sie darauf vorbereitet sind", erklärt Singh.

In einem FWF-Projekt arbeitet er mit seinen vielen Daten an einem Modell mit drei Szenarien: traditionell, modern und intermediär. Wenn er es 2007 präsentiert, lässt sich aus Parametern wie Landfläche, Demografie oder Produktivität ablesen, was die Bewohner für den jeweiligen Entwicklungspfad einsetzen müssen. Schließlich sollen die Nikobaresen ihre Entscheidung informiert treffen. Von dem Science-Artikel war der Forscher enttäuscht: "Weil ich als Halbgott dargestellt wurde, der aus seiner Rolle als Wissenschafter heraussteigt, um Menschen zu helfen. Ich will darüber reden, wie engagierte Wissenschaft Verantwortung übernimmt, sich die Hände schmutzig macht und ihre Theorien an der Realität ausprobiert."

Am liebsten ist Simron Singh in der Natur, bevorzugt im Großen Walsertal. Wenn er sich in geschlossenen Räumen aufhalten muss, schreibt er immer noch Poesie oder tanzt Salsa. (Astrid Kuffner/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31. 10./1. 11. 2006)