Foto: Viennale
Wien - Immer mühsamer scheint es für den finnischen Regisseur und Autor Aki Kaurismäki zu werden, "neue" Filme zu machen. Gab es eine Zeit lang noch so etwas wie ein humoristisches oder auch melodramatisches Potenzial, das er seinen wortkargen Protagonisten zugestand, und das ihn mit Filmen wie La Vie de Boheme oder Ariel zu einem der größten Erzähler kleiner Schicksale werden ließ, die das zeitgenössische Kino hervorgebracht hat - so scheint Kaurismäki dieses Prinzip Hoffnung zunehmend aufgegeben zu haben.

Es scheint so, als würden mit der zunehmenden Bedrücktheit seiner ewigen Stehaufmännchen auch die Filme immer kraftloser werden. Und das durchaus nicht im Sinne von unkonzentriert: Kaum jemand erzählt und montiert heute knapper und konsequenter auf den Punkt hin als Kaurismäki.

Er scheint nur den Sinn größerer Gesten endgültig ad acta gelegt zu haben. Und waren schon die letzten beiden Filme seiner Trilogie über Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Einsamkeit - Wolken ziehen vorüber und Der Mann ohne Vergangenheit - von geradezu gnadenloser Erschöpftheit getragen, so stellt nun, nach vierjähriger Schaffenspause, Lichter der Vorstadt diesbezüglich alles in den Schatten.

Kein Beiwerk

Eigentlich sollte der Film, der ziemlich deutlich auf Chaplin und City Lights Bezug nimmt, "Schatten" oder bestenfalls "Halbdunkel der Vorstadt" heißen. Und er erzählt die einfachste Geschichte der Welt so, dass sie praktisch überhaupt kein schmückendes Beiwerk hat, das ihr zu auch nur irgendwelchem Glanz verhelfen könnte: Ein Mann (Janne Hyytiäinen) will, wenn schon nicht nach oben, so doch ein rechtschaffenes Leben führen.

Er ist geradezu rücksichtslos gut. Er verliebt sich. Er wird betrogen und vernichtet. Am Ende ist es mehr als unklar, ob er, von Gangstern zusammengeschlagen, noch einmal aufstehen wird. Lichter der Vorstadt ist, wenn man so will, die Erinnerung an einen Film noir, die sich hier wohl bestenfalls mit dem Repertoire von Stummfilmen zu helfen weiß.

Sicher, es gibt Gangster, es gibt einen stoischen Einzelgänger, es gibt sogar eine Femme fatale (Maria Järvenhelmi) - aber das Wenige, was diese Charaktere zu sagen haben, klingt wie Schrifttafeln und Untertitel, die angesichts ihrer Körperhaltung und Mimik fast überflüssig anmutet.

Am Staubsauger

Und das Bisschen, was diese Figuren tun, desavouiert ihr Rollenspiel sehr schnell als Verzweiflungstat - oder zumindest als fatalen Selbstbetrug. Eine Femme fatale am Staubsauger? In früheren Kaurismäki-Filmen hätte man darüber schallend gelacht, hier produziert's eher einen Kloß im Hals.

Es gibt nun vielleicht Leute, die aus diesem Film rausgehen und sagen: Alles schon da gewesen, keine neuen Einfälle. Das viel Schlimmere, das man dabei vielleicht aber übersieht: Die Verelendung, von der Kaurismäki erzählt, sie ist tatsächlich immer schon da gewesen. Und nur wenige "Einfälle" helfen dagegen. Also steht unser Mann aus Finnland auf und sagt mit matter Stimme, Melvilles Bartleby verwandt: "I'd rather not &"

Ich würde jetzt lieber nicht auf souverän machen. Aus den Mitteln, die einem (nur) noch zur Verfügung stehen, wenig zu machen, das mehr bedeutet: Kaurismäki beherrscht diese Kunst wie sonst vielleicht nur Filmregisseur Jim Jarmusch. Mit Lichter der Vorstadt ist er endgültig an einem Punkt angelangt, wo man hinter den Begriff Meisterschaft kein Rufzeichen mehr setzen muss. (Claus Philipp/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. 10. 2006)