Hans-Georg Ehrhart (51) ist Politologe am Institut für Friedenspolitik und Sicherheitsforschung an der Universität Hamburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Konfliktprävention, Europäische Sicherheit und Strategie, Bundeswehr und zivil-militärische Beziehungen.

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Die Folgen der Schädel-Fotos seien noch nicht absehbar, sagt Politologe Hans-Georg Ehrhart zu Birgit Baumann und empfiehlt der Bundeswehr, genauer zu schauen, wen sie ins Ausland schickt.

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STANDARD: Wer macht solche Fotos, und wer lässt sich auf diese Weise fotografieren?

Ehrhart: Man muss diesen Prozess der Verrohung im Kontext sehen. Der Druck, die angespannte Lage, die ständigen Gefahren bei einem Auslandseinsatz sind groß, da reagieren manche Menschen so. Die Haut der sozialen Hemmschwelle ist bei manchen eben sehr dünn. Ich will das damit überhaupt nicht entschuldigen. Aber man muss auch bedenken, dass es derartiges auch in der Gesellschaft außerhalb der Bundeswehr gibt. In Afghanistan dürfte der Gruppenzwang ebenfalls eine Rolle gespielt haben.

STANDARD: Man hat den Eindruck, als seien die Totenschädel Trophäen.

Ehrhart: Das trifft es auch. Die Soldaten haben dumm, unüberlegt und unmoralisch gehandelt. Vermutlich waren die Fotos nicht für ihre Frauen oder Freundinnen bestimmt, sondern für einschlägige Foren. So zynisch es klingt, aber nun ist das ist eine Frage der Ökonomie: Die Nachfrage nach solchen Fotos ist jetzt groß, es steigt also der Preis.

STANDARD: Es gibt auch Vorwürfe an die "Bild"-Zeitung. Manche sagen, sie dürfe solche Fotos nicht veröffentlichen. Teilen Sie diese Meinung?

Ehrhart: Ich würde der Bild-Zeitung da keinen Vorwurf machen. Die Presse hat schließlich auch die Aufgabe, solche Dinge aufzudecken.

STANDARD: Sehen Sie Parallelen zum irakischen Gefängnis Abu Ghraib, wo US-Soldaten Gefangene quälten?

Ehrhart: Die Assoziation ist natürlich gleich da. Aber man muss differenzieren: In Abu Ghraib wurden lebende Menschen geschunden, und es war ein systemischer Fehler, weil sich die Täter durch Vorgesetzte gedeckt fühlten. Bei den Bundeswehr-Fotos dürfte es sich aber um Einzelfälle handeln, die ohne Wissen der Vorgesetzten gemacht wurden.

STANDARD: Welche Konsequenzen muss die Bundeswehr-Führung ziehen?

Ehrhart: Sie präsentiert ihre Soldaten ja gerne als Bürger in Uniform und betont, dass sie bei der Ausbildung zu selbstständigen Soldaten erzogen werden. Aber man muss genauer hinschauen, wen man auf so einen Auslandseinsatz schickt, und man muss Soldaten vermitteln, dass auch in einem Krieg Regeln gelten. Das Problem ist, dass aufgrund der wirtschaftlich schwierigen Lage in Deutschland sich nicht unbedingt die besten Anwärter für die Bundeswehr entscheiden. Und man sollte aufhören, so zu tun, als leiste Deutschland bloß Entwicklungshilfe. Die Deutschen sind in Afghanistan in einem instabilen Land, in dem die kriegerischen Aktivitäten zunehmen.

STANDARD: Welche Folgen könnten diese Fotos haben? Ausschreitungen wie nach den Mohammed-Karikaturen?

Ehrhart: Das ist überhaupt noch nicht abzusehen. Auf jeden Fall haben die Soldaten dem potenziellen Gegner etwas in die Hand gegeben, das er einsetzen kann, wann immer es ihm passt. Bei den Karikaturen hat es ja auch ein paar Monate gedauert, bis es losging. Die Bundesregierung muss daher in Afghanistan ganz deutlich machen, dass sie diese Fälle scharf verurteilt und dass alles getan wird, um die Schuldigen zu bestrafen. (DER STANDARD, Printausgabe 28./29.10.2006)