Der Film zur Debatte: William H. Macy als opportunistischer US-Senator in Jeason Reitmans "Thank You for Smoking" - entspannender als jede Frühstückszigarette.

Foto: centfox
In dieser Zeitung wurde zuletzt in drei Kommentaren (*) zu einem staatlichen Rauchverbot in öffentlichen Räumen Stellung genommen.

Als Lungenfacharzt und ehemaliger Raucher berate ich täglich Menschen mit Tabak-Abhängigkeit und sehe die Dinge anders.

Bedenklich erscheint mir vor allem, dass der Diskurs bisher ausschließlich über das Verbot öffentlichen Rauchens geführt wird, nicht aber über die dem Symptom zugrunde liegende Krankheit und damit auch nicht über die Probleme der direkt Betroffenen. Das ist so als würde man die Leiden von Diabetikern ausschließlich über ein allgemeines Mehlspeisverbot abhandeln.

Nur über Verbote reden heißt das Pferd von hinten aufzäumen: Die Aufmerksamkeit richtet sich ausschließlich auf die, die am Rauch der anderen leiden, die rauchenden Menschen selbst kommen in der Debatte dann gar nicht mehr vor. - Was sind die Ursachen für dieses Scheuklappendenken?

Von hiesigen Politikern wird die Tabak-Abhängigkeit in der Regel nicht einmal ignoriert - oder bestenfalls in Wahlkampfzeiten zwecks Stimmenfang auf die Agenda gesetzt. Medienberichte beschränken sich auf routinemäßige Klagen über das Rauchen als Ursache häufig tödlicher Folgeerkrankungen.

Unerwähnt bleibt erstens die Tatsache, dass die Therapie der Tabakabhängigkeit nachweislich wirksam und kosteneffektiv ist. Unerwähnt bleibt zweitens, dass diese Behandlung im medizinischen Alltag fast völlig fehlt. Und unerwähnt bleibt drittens auch der Grund dafür: dass die Behandlung zeitfaufwändig ist und weder im Krankenhaus noch bei den niedergelassenen Ärzten von den Krankenkassen bezahlt wird.

Der Skandal besteht darin, dass kranken Menschen eine lebensverlängernde Therapie de facto vorenthalten wird. Der Skandal besteht darin, dass in Österreich Suchterkrankungen nicht sachlich gesehen, sondern nur entweder bagatellisiert oder verteufelt werden.

Die Betroffenen werden belächelt oder ausgegrenzt. Genau das geschieht auch durch undifferenzierte öffentliche Rauchverbote, die das soziale Leben einschränken oder gar verunmöglichen können - die aber einen unbestreitbaren "Vorteil" haben: Sie kosten nichts und lenken von den eigentlichen politischen Defiziten (s. o.) und deren Folgewirkungen ab.

Was außerdem auffällt, ist die Unverhältnismäßigkeit der Vergleiche und der Bilder, die in den besagten Kommentaren verwendet werden:

Titelseitenkolumnist Hans Rauscher vergleicht Zigarettenrauchen mit "alkoholbedingten Gewalttaten und Verkehrsunfällen". Er fordert von der neuen Regierung "Rauchverbot in Gaststätten bzw. die Einrichtung ernst zu nehmender rauchfreier Zonen."

Warum fordert er nicht genauso vehement ein Alkoholverbot in ebendiesen Gaststätten zur Vermeidung alkoholbedingter Gewalttaten und Verkehrsunfälle?

Der Philosoph Robert Pfaller bemüht sich immerhin um eine unverengte Sichtweise und versucht eine Lanze für die individuelle Freiheit zu brechen. Pfaller erkennt das Rauchen als "reales Übel" an, bezeichnet aber die Warnhinweise auf Zigarettenpackungen als "Angstpropaganda".

Das erscheint auf dem ersten Blick überzogen zu sein. Die Argumentationslogik des Arztes und Medienprofessors Josef Smolle gibt ihm aber leider Recht: Smolle beschreibt eine Szene "am Krankenbett einer jungen todgeweihten Mutter mit Bronchuskarzinom" und gibt vor zu wissen, was in Wahrheit niemand wissen kann: "dass dieses Schicksal ohne das todbringende Rauchen nicht eingetreten wäre".

Statistisch gewonnene Erkenntnisse auf Aussagen über einzelne Individuen "umzulegen" ist unseriös. Daher ist dieses Bild nicht nur falsch, sondern auch diffamierend und irreführend. Es suggeriert, dass Menschen allein durch ihr Rauchen für ihren Tod verantwortlich sind. Für mich ist das in der Tat Angstpropaganda - und eines Arztes unwürdig.

Smolle tritt im Übrigen ebenso wie Rauscher für eine politische Lösung des Rauchens ein: für Rauchverbote in Lokalen. So sollen Nichtraucher vor den schädlichen Folgen des Rauchens geschützt und Raucher dazu gebracht werden, weniger oft zur Zigarette zu greifen.

Vergisst der Arzt Smolle, dass Tabakabhängigkeit eine Suchterkrankung ist, die sich erfahrungsgemäß über Verbote nicht steuern lässt? Da halte ich es lieber mit Pfaller, der mit Sloterdijk vor einer "postdemokratischen Verbotsgesellschaft" warnt.

Zur Gesundheit gehört auch das soziale Wohlbefinden. Daher darf Raucherinnen und Rauchern nicht leichtfertig der Aufenthalt an Orten sozialer Begegnung verboten werden. Viel wichtiger und im wahrsten Sinne heilsamer wäre es, über Therapiemöglichkeiten und deren Finanzierung nachzudenken. (Andreas Nagler, DER STANDARD - Printausgabe, 27. Oktober 2006)