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Foto: Reuters
Der Dornröschenschlaf hatte mehr als ein Jahrzehnt lang angehalten. In den mittleren Neunzigern hatten sich übergroße Combat-Hosen mit Schenkeltaschen, Puffa Jackets und futuristisches Turnschuhwerk als überall akzeptable Grundausrüstung der urbanen Überlebenskämpfer durchgesetzt. Seither bestand in London ein von parallel verlaufenden Modeströmungen im Rest der Welt beharrlich unbeeindruckter, sportlich salopper Einheitsterror. Rockbands wie Radiohead oder Coldplay kleideten sich genauso wie junge Finanzhaie beim Betriebsausflug, und die ästhetisch irgendwo zwischen importiertem HipHop-Stil und proletarischem Casual-Sportswear-Diktat gefangene Jugendkultur hatte ihnen auch nicht viel entgegenzusetzen.

Wenn Mode die Gesellschaft reflektiert, dann war jener Look der praktischen/ progressiven Bequemlichkeit wohl die Parallelerscheinung zu den ersten paar Jahren der Regierung Blair, als das ganze Land sich auf ein pragmatisches, diffuses Modernisierungscredo zu einigen schien. Doch zeitgleich mit dem Ende dieses politischen Honeymoon begann auch die Hegemonie der unverbindlichen Lässigkeit zu bröckeln.

Die Frage nach Henne oder Ei ist zwar zwecklos, aber sowohl Dior-Designer Hedi Slimane als auch Kate Moss wussten wohl, was sie taten, als sie sich an die Rockzipfel des rockenden Gentleman-Junkies Pete Doherty hefteten. Neben seinen Songs und seiner Aura der romantischen Verwahrlosung standen Doherty und seine Band, die Libertines bzw. Babyshambles, nämlich an vorderster Front einer Rückbesinnung auf vergessene Werte der britischen Männerbekleidung wie Ledersohlen, gediegene Hüte und knappe Hosensäume, die den Rist zwar küssen, aber nicht umarmen.

Ab da war es nur mehr eine Frage der Zeit, ehe die seit den mittleren Achtzigern völlig desavouierten Röhren-Jeans, in Großbritannien (nach den frei liegend, an Backsteinwänden entlang verlaufenden Abwasserrohren) gern "Drainpipes" genannt, sich als radikale Antithese zum urbanen Einheitslook durchsetzten.

Schließlich verlangte auch die vom New Wave der frühen 1980er derivierte Musik der zugehörigen Bands - von The Rakes bis zu The Horrors - beim Dazuzappeln nach sichtbar definierten Kniekehlen. Vor allem aber haben nur die Kids (bzw. Menschen mit latent ungesundem Lebenswandel) die für solche Schnitte nötigen, schmalen Hüften, und die Jugendkultur verspürt in den Zeiten des Irakkriegs und der völlig entzauberten Cool Britannia untrüglich wieder ein erhöhtes Bedürfnis nach Abgrenzung vom Mainstream.

New-Wave mischt sich mit HipHop-Ästhetik

Es heißt, im von Teenagern betriebenen und nur für unter 18-Jährige zugelassenen "Underage Club" in Elephant & Castle im Süden Londons seien Metamorphosen dieses Looks - wie etwa die Splittergruppe der in psychedelische T-Shirts gekleideten New Ravers - jeweils zuerst zu beobachten, aber der Autor ist hoffnungslos zu alt, um das zu überprüfen. Was sich im Vergleich zur originalen New-Wave-Mode entscheidend verändert hat, ist jedenfalls der tiefe Sitz des Hosenbunds und - ein nachwirkender Einfluss der HipHop-Ästhetik - der hängende Hosenboden.

Die revitalisierte britische Kette Top Shop war der Hauptmotor hinter dem Vorstoß der schlanken Linie in die High Streets der britischen Provinzhauptstädte. Mittlerweile führt sogar schon der dezidiert unabenteuerlich gepolte US-Konzern Gap seine - von Audrey Hepburn posthum beworbenen - "slim black pants" im Programm und wurde dafür prompt von der konservativen Presse der Glorifizierung von Magersucht bezichtigt. Der kontroversielle Komiker Russell Brand kultiviert indessen seine Aufmachung als - wie er es selbst nennt - "Sado-Maso-Willy-Wonka" und hat als Pausenclown der britischen Version von Big Brother knallenge Stretch-Hosen, Piratenhemden, spitze "Winklepicker"-Stiefeln, Kajalstift und hochtoupiertes langes Männerhaar im Hauptabendprogramm eingeführt.

Ein untrügliches Signal an die Hipster, zwecks Distinktion noch eins draufzulegen - zum Beispiel Hochwasserhosen mit - lange tabuisierten - weißen Socken und dazu die einst von Teddy Boys, Rockabillys und Psychobillys als Schuhwerk favorisierten Creepers mit den dicken Kreppsohlen (genauer "Brothel Creepers" genannt, vermutlich weil Gangster damit elegant und lautlos durch verbotene Bordelle gleiten konnten).

Wie immer liegt die Erneuerung dabei in der Kombination bisher unkompatibler Zutaten, aber die Garderobe der New-Wave-Ära hat schon lange nicht mehr so zeitgemäß ausgesehen. Und auf Londons Straßen weichen die legeren Combat-Karrieristen der Jahrtausendwende endlich wieder der lange vermissten textilen Theatralik. (Robert Rotifer/Der Standard/Rondo/27/10/2006)