Hannspeter Winter, Leiter des Instituts für Allgemeine Physik der TU Wien.

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STANDARD: Wozu dient die Fusions-Expo in Innsbruck?

Winter: Wir möchten dem Publikum zeigen, dass die Kernfusion jetzt in eine entscheidende Phase tritt. Und dass wir damit durchaus realistische Ziele verfolgen. Der Forschungsreaktor ITER soll demonstrieren, dass es möglich ist, durch Kernverschmelzung Energie zu gewinnen. Er wird, wenn alles gut geht, zum ersten Mal ein brennendes und für längere Zeit Energie lieferndes Plasma erzeugen.

STANDARD: Würde ITER dann auch Strom erzeugen?

Winter: Die Stromerzeugung über einen Fusionsreaktor wäre erst der nächste Schritt. Zunächst müssen wir sehen, ob die Materialien die Belastung aushalten, die ungleich höher ist als bei der Kernspaltung. Damit im Plasma die Atomkerne verschmelzen, braucht es Temperaturen von mehr als hundert Millionen Grad. Und anders als in der Sonne, wo der Fusionsbrennstoff über deren ungeheure Schwerkraft zusammengehalten wird, haben wir im irdischen Bereich materielle Umrandungen, die überleben müssen.

STANDARD: Wäre es nicht sinnvoller, die ungeheuren Summen, die für die Kernfusion nötig sind, in die Optimierung der erneuerbaren Energien zu investieren?

Winter: Wir müssen beides forcieren. Die Kernfusion würde sich als Basisversorgung sehr gut mit den erneuerbaren Energien vertragen, denn wir brauchen stabile Stromnetze. Sonne oder Wind gibt es aber nicht ständig. Außerdem kann man über die Fusion Wasserstoff erzeugen. Und das wäre eine denkbare Alternative für das Transportwesen, das derzeit noch zu 95 Prozent vom Erdöl abhängt.

STANDARD: Würde die Kernfusion die Kernspaltung ablösen?

Winter: Sie wäre günstiger, weil sie kaum strahlende Rückstände hinterlässt. Die Kernspaltung unterliegt von den Rohstoffen her zudem einer natürlichen Begrenzung und stellt eigentlich eine fossile Energiequelle dar. Aber sie wird sicher noch mindestens 50 Jahre lang eine wesentliche Rolle in den Industrieländern spielen, egal ob wir in Österreich sie für pfui halten. Dass wir die Hälfte unserer Energie aus Wasserkraft beziehen, ist eine Gabe Gottes und nicht unser Verdienst. (ebe/DER STANDARD, Printausgabe, 25. Oktober 2006)