Wien/Kirkuk - Erst am Dienstag ist in Kirkuk, der von Kurden, Turkmenen und Arabern bewohnten multiethnischen Stadt zwischen Bagdad und Erbil, ein Attentat auf den Polizeichef fehlgeschlagen. In Kirkuk, das außerhalb des in den 90er-Jahren entstandenen kurdischen Autonomiegebietes liegt, das die Kurden jedoch ihrer Region zugeschlagen sehen wollen, mehrten sich zuletzt Anschläge.

Rizgar Ali Hamajan, der Chef des Provinzparlaments von Kirkuk, erklärt im Gespräch mit dem Standard in Wien, dass die Gewalt ein Erbe der Saddam-Zeit ist. Die kleine Stadt Hawija in der Nähe von Kirkuk sei schon immer eine Hochburg der Baathisten gewesen, die jetzt gegen ihren Machtverlust ankämpften. "Die meisten, die in Kirkuk Anschläge verüben, kommen von außerhalb. In Hawija verschanzen sich die alten Baathisten, unterstützt von Baathisten aus anderen Provinzen, und sie koordinieren sich mit (den extremistischen islamistischen Gruppen, Anm.) Ansar al-Sunna, der auch Kurden angehören, und Al-Kaida."

Auf Kirkuk schwappe die im Irak herrschende Gewalt auch deshalb leichter über, weil sie eben nicht verwaltungstechnisch zum Kurdengebiet gehöre, in dem Ruhe und Ordnung herrschen. Schiitische Milizen hat der Kurdenpolitiker, Mitglied der PUK (Patriotische Union Kurdistans), in Kirkuk nicht gesichtet, diese Behauptung gehöre zur Propaganda der Baathisten (die die Angst vor den Schiiten schüren wollen, Anm.).

Als in Bagdad Premierminister Ibrahim al-Jafari regierte, kamen von kurdischer Seite immer wieder Klagen, dass dieser die Umsetzung von Artikel 140 der irakischen Verfassung bzw. 58 der Übergangsverfassung bewusst verschleppe. Dabei geht es vereinfacht gesagt um die Revidierung der früheren Arabisierungspolitik und Schaffung der Voraussetzung für ein Referendum in Kirkuk (und anderen "umstrittenen Territorien") bis Ende 2007.

Von Rizgar Ali Hamajan kommt Lob für den jetzigen Premierminister Nuri al-Maliki, der bereits in seiner Antrittsrede im Mai die Erfüllung von Artikel 140 zugesagt hatte. Mittlerweile arbeitet ein Komitee (nicht immer friktionsfrei, Anm.) an einem Umsetzungsplan; es sei nun an Maliki, das Budget bereitzustellen und für die politischen Entscheidungen zu sorgen.

Zu den Voraussetzungen für eine Volkszählung und ein darauf folgendes Referendum in Kirkuk gehöre nicht nur, so Hamajan, die antikurdische Siedlungspolitik Saddam Husseins rückgängig zu machen. Auch die demografischen Manipulationen durch Änderungen von Verwaltungsbezirken (kurdisch besiedelte Bezirke wurden Sulaymania zugeschlagen und arabisch besiedelte Kirkuk) müssen revidiert werden. Für die Heimkehrer nach Kirkuk brauche man Grundstücke und Entschädigungen, also ein Budget.

Hamajan beantwortet die Frage, ob er auch ein für die Kurden ungünstiges Ergebnis eines Kirkuk-Referendums akzeptieren würde, eindeutig: "Ich habe der irakischen Verfassung zugestimmt, das heißt, ich muss auch das Resultat eines Referendums akzeptieren." Was nicht zur Disposition steht, ist der ebenfalls verfassungsmäßig verankerte Föderalismus. Er stärke die Demokratie und garantiere die Einheit des Irak. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 25.10.2006)