Zur Person
Helmut Kramer ist Leiter der Forschungsgruppe EU-Außenbeziehungen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Seine aktuellen Forschungs­schwerpunkte sind die EU-Kandidatur der Türkei, die politische Entwicklung der Türkei nach dem Ende des Ost-West-Konflikts sowie das Konfliktdreieck Türkei-Griechenland-Zypern.

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Foto: SWP
Am 8. November legt die EU-Kommission den nächsten Fortschrittsbericht zur Türkei vor. Um die von der Republik Zypern angekündigte Blockade zu verhindern, arbeitet die finnische Ratspräsidentschaft an einem Kompromiss. Im Gespräch mit derStandard.at erklärt Zypern-Experte Heinz Kramer , warum er diesen Vorschlag skeptisch sieht und warum er dennoch daran glaubt, dass sich eine Lösung finden wird, mit der die EU mit der Türkei weiter verhandeln kann, obwohl sie die Forderungen der EU nicht einhält. Das Gespräch führte Sonja Fercher.

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derStandard.at: Glauben Sie, dass der Kompromissvorschlag der finnischen Ratspräsidentschaft verhindern wird, dass die Verhandlungen mit der Türkei am Thema Zypern scheitern?

Heinz Kramer: Grundsätzlich ist das wohl der richtige Weg. Die Frage ist aber, ob die Details - die ja nicht bekannt sind - dazu geeignet sind, die Vorbehalte beider Seiten zu überwinden. Die Formel klingt gut, nur die große Krux in allen Zypernfragen ist, dass in dem Moment, wo etwas globalere, vernünftig klingende Formeln praktisch angewandt werden müssen, sich zeigt, dass die praktischen Details sofort wieder mit Grundsatzvorbehalten wie der Frage der Anerkennung des Nordens verbunden werden, die dann letztlich die Sache doch nicht durchführbar machen.

Im Grunde genommen suchen beide Seiten immer genau nach einem Haken, wegen dem sie dann doch Nein sagen können. Es geht keiner in ein Gespräch und sagt "Wo ist der Schatten, über den ich springen muss?"

Und ich bin mir nicht ganz sicher, ob der finnische Vorschlag so gestrickt ist, dass er die Vorbehalte der beiden Seiten wirklich überwinden kann.

derStandard.at: Wenn dem nicht so ist, ist er dann nur ein Placebo, um die Verhandlungen der Türkei weiterführen zu können?

Kramer: Es ist sicherlich keine ganz falsche Überlegung, eine Taktik zu entwickeln, in der man zeigen kann, dass sich etwas bewegt, um die Verhandlungen mit der Türkei nicht abbrechen zu müssen. Ich fürchte nur, dass die Situation im Augenblick eine andere ist, da die griechischen Zyprer ja gesagt haben, dass es keine Fortsetzung der Verhandlungen geben wird, so lange das Ankara-Protokoll nicht erfüllt ist.

derStandard.at: Bislang schien Zypern in einer Sackgasse, jetzt scheinen beide Seiten sich doch einen Schritt entgegen zu kommen. Haben beide Seiten inzwischen verstanden, dass Sie Kompromisse machen müssen?

Kramer: Das ist im Grunde auch nichts neues, sondern das Schwarze- Peter-Spiel: Es will natürlich hinterher nicht die eine Seite von der anderen Seite dafür verantwortlich gemacht werden, dass es dann doch nicht geklappt hat.

Sie haben ja erst einmal nur Gesprächsbereitschaft akzeptiert. Ob dies schon Kompromissbereitschaft impliziert, das wage ich nach allen bisherigen Erfahrungen immer mehr zu bezweifeln. Das ist ja in der hohen Diplomatie das Schöne, dass schon Gespräche etwas Positives sind, auch wenn sie von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, wie es hier ja nun durchaus der Fall sein könnte.

derStandard.at: Das verheißt allerdings nichts Gutes für Zukunft der Verhandlungen mit der Türkei...

Kramer: Das ist jetzt die Frage. Irgendwann muss die EU-Kommission den Bericht ja fertig machen, und mit dem finnischen Kompromiss kann sich die Kommission - und das wird sie machen - augenwischerisch hinsetzen und sagen: "Also, liebe Leute, das ist alles fürchterlich schlimm, aber wir haben eine gewisse Hoffnung, denn es laufen ja Gespräche." Damit sind die dann fein raus, unter anderem weil man dann nicht sagen muss, wie man denn nun die Türken bestraft.

Denn genau das will (EU-Erweiterungskommissar, Anm.) Olli Rehn im Grunde ja um jeden Preis vermeiden. Nun könnte er genau mit diesem Argument kommen und sagen "Im Grunde genommen haben sie ihre Verpflichtungen nicht erfüllt und wir müssten hier jetzt eigentlich Konsequenzen ziehen. Aber es gibt ja Gespräche und die darf man nicht stören bzw. deren Ergebnis darf man nicht gefährden." Damit ist die Kommission aus dem Schneider und der Ministerrat hat die Sache auf dem Tisch.

derStandard.at: Rehn fordert allerdings im Moment noch sehr klar von der Türkei, dass sie dieses Ankara-Protokoll einhalten muss. Wie glaubwürdig ist die EU dann überhaupt noch, wenn sie sich auf solche Tauschgeschäfte einlässt?

Kramer: Wie viel Glaubwürdigkeit hat denn die EU jetzt überhaupt noch? Wenn man sich den Zirkus unmittelbar vor dem 3. Oktober vor einem Jahr ansieht: Keiner wollte den Beginn von Verhandlungen mit der Türkei, die Franzosen am liebsten nicht, Schüssel im Grunde nicht - jedenfalls hat er das zu Hause immer gesagt, wenn er in seiner Funktion als EU-Präsident sprach, klang das ein bisschen anders. Dann haben alle Leute kräftig die Lippen gespitzt, gepfiffen hat keiner.

Aber die Glaubwürdigkeit war doch schon bei der Eröffnung der Gespräche beim Teufel. Es wusste jeder, der sich das angekuckt hat, dass man angefangen hat, ein Schauspiel aufzuführen. Die Mehrheit der EU-Mitgliedsregierungen war damals und ist heute gegen einen türkischen Beitritt. Nur traut sich keiner von denen - aus welchen Gründen auch immer - sich hinzustellen und zu sagen: Ich lass das Ding jetzt platzen.

derStandard.at: Warum eigentlich nicht?

Kramer: Das ist eine wirklich interessante Frage, die schwer zu beantworten ist. Das Problem ist ja: Wir haben eine Gruppe von Nein-Sagern, aber der erste, der es sagt, ist derjenige, der alles abkriegt. Der steht dann da, die anderen machen dann ja den Mund nicht auf.

Alle anderen 24 sind dann entweder enttäuscht oder erzürnt, wenn sie Briten sind, und wenn sie sowieso auf der gegnerischen Seite sind, finden sie es ganz toll, dass endlich einer was gesagt hat, was sie sich selbst nicht getraut haben. Dann kriegt eben Österreich den türkischen Zorn und die Kritik der Amerikaner und der Engländer ab. Aber niemand wird dem jeweils betroffenen Land beispringen. (24.10.2006)

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