Margit Appel: Missbrauch ist sicher nicht verhinderbar, man findet ihn allerdings quer durch alle Einkommensschichten.

"Es scheint in der österreichischen Gesellschaft nichts so gefürchtet, wie die Sozialschmarotzer", meint Margit Appel von der Katholischen Sozialakademie zur Diskussion rund um eine Grundsicherung.

Und sie erklärt sich die ablehnende Position der ÖVP eher mit den Gesetzmäßigkeiten von Koalitionsverhandlungen, als mit einer "antichristlichen" ÖVP-Grundhaltung. Prinzipiell wären PolitikerInnen aber gut beraten, "ohne ideologische Berührungsängste den Bedarf für eine Grundsicherung zu prüfen."

****

derStandard.at: Der Politologe Emmerich Talos findet die Aufregung bei der Diskussion um die bedarfsorientierte Grundsicherung lächerlich, weil sie sowieso bereits mehr oder weniger eine Gegebenheit sei. Wie sehen Sie das?

Appel: Aus seiner Sicht hat er vielleicht recht und man muss natürlich sagen, dass Österreich ein Sozialstaat ist. Allerdings beruht dieser Sozialstaat auf Prinzipien, die immer mehr ins Wanken geraten. Dazu liefert Emmerich Talos ja selbst immer die Argumente: Er spricht zum Beispiel die Tatsache an, dass immer mehr Erwerbstätige nicht mehr von ihrem Arbeitslohn leben können. Ein weiteres Talos-Argument: das Sozialhilfesystem stützt sich auf das Netz der Familie, das zusehends zerfällt. Vor allem Frauen fallen oft aus der Notstandsregelung.

derStandard.at: Der katholischen Sozialakademie gehen die Forderungen der SPÖ in Sachen Grundsicherung nicht weit genug, warum? Wie weit würden Sie gehen?

Appel: Ein Grundsicherungsmodell wie es die SPÖ vorschlägt wäre sicher ein Fortschritt. Ein Grundsockel sowohl bei den Arbeitseinkommen als auch bei den Sozialleistungen-fehlt auf alle Fälle in Österreich, es kann ja nicht sein, dass in einem derart reichen Land wie Österreich Menschen mit lächerlichen Beträgen ihr Leben bestreiten müssen. Was wir an dem SPÖ-Modell kritisieren ist der Kontrollaufwand in Richtung Arbeitswilligkeit und Vermögensprüfung.

Wir gehen davon aus, dass es gesellschaftlich konstruktiver wäre, allen Menschen ein Existenzminimum in Form eines "Grundeinkommens" zu garantieren und damit die Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass die Menschen im von ihnen bestimmten Ausmaß erwerbstätig sein können, sich in diversen Organisationen und auch in der Politik engagieren können und Männer und Frauen besser verteilt Arbeiten im Bereich der Kindererziehung, der Pflege, etc. leisten können.

derStandard.at: Sind Argumente wie "Sozialschmarotzertum" oder "Förderung der Schwarzarbeit" etc. Ihrer Meinung nach berechtigt?

Appel: Es scheint in der österreichischen Gesellschaft nichts so sehr gefürchtet zu werden, wie die "Sozialschmarotzer". Dieser Vorwurf ist billig. Missbrauch ist sicher nicht verhinderbar, man findet ihn allerdings quer durch alle Einkommensschichten. Wir versuchen uns dagegen mit unserem Modell zu wehren. Wir sagen: Eigenverantwortlichkeit und Flexibilität braucht eine Basis.

derStandard.at: Der Linzer Bischof Schwarz sieht im SPÖ-Modell "einen guten Ansatz". Begehrt die Kirche gemeinsam mit der SPÖ gegen die ÖVP auf?

Appel: Die Kirche hat in den letzen Jahren einiges zur Debatte um den Sozialstaat beigetragen. Sozialhirtenbrief, ökumenisches Sozialwort etc. forderten immer klar Maßnahmen gegen die zunehmende Armut, gegen die mittlerweile auch Erwerbstätigkeit keine Garantie mehr ist. Wenn jetzt einzelne Personen in der Kirche das Wort ergreifen, ist das damit zu erklären.

derStandard.at: Die ÖVP spricht sich in Sachen Grundsicherung gegen das Modell der SPÖ und somit auch gegen das der katholischen Sozialakademie aus. Vertritt die ÖVP noch christliche Werte?

Appel: Ich kann es auch nicht leiden, wenn mir vorgeworfen wird, nicht mehr auf dem Boden christlicher Werte zu stehen. Da sind eben verschiedene Positionen möglich. Ich gehe davon aus, dass die ÖVP in der Lage ist zu sehen, wie die soziale Situation in Österreich derzeit ist. Aus dem ÖAAB hat es ja auch schon Überlegungen zur Grundsicherung zu geben. Das Thema sollte für die ÖVP also nicht so fremd sein, wie es derzeit rüberkommt. Gerade das Grundeinkommen könnte eine Basis für verantwortungsvolle Menschen sein, wie sie sich die ÖVP ja immer vorstellt. Ich sehe hier ein bisschen die Verweigerung, auch Vertrauen in die BürgerInnen zu haben.

derStandard.at: Hat da die Regierungsbeteiligung von FPÖ/BZÖ zu einer gewissen Verrohung in dieser Hinsicht geführt?

Appel: Koalitionen brauchen immer ein hohes Maß an Kompromissbereitschaft. Für die Situation jetzt ist es wichtig, zuzugeben, dass es in allen gesellschaftlichen Lagern hohen Diskussionsbedarf gibt, das gilt für alle Parteien, auch für die ÖVP.