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Jennifer Frank (Gretchen) und Michael Schottenberg (Schlomo Herzl) spielen/lesen aus Taboris "Mein Kampf".

Foto: AP /Stephan Trierenberg
Wien – Der Theaterheld George Tabori verknüpft, wie Wilhelm Droste wunderschön bemerkt, die Dramen innerhalb und außerhalb der dafür vorgesehenen Räume. Die Stücktexte wie die Prosa des 92-Jährigen sind nicht von seiner Biografie ablösbar, auch wenn diese durch Kalauer und Witz und einen von obszöner Schönheit durchdrungenen Blick auf Distanz gehalten wird. Wie unauffällig Autobiografisches und Fiktives im Falle Tabori ineinander greifen, führte am Freitagabend der ihm zu Ehren ausgerichtete Abend schon im Titel: Tabori- Variationen.

"Macht kein Theater!", hat der ruhige, Widersprüche vereinende Herr schon vor Jahren grummelnd ausgegeben, er meinte es nicht so, keiner hielt sich dran. Auch er nicht. Und so hat er die ihm gewidmete Hommage selbst inszeniert.

Nach einem Schwächeanfall, den Tabori während der Verleihung des Großen Goldenen Ehrenzeichens der Republik am Freitagvormittag erlitt, musste der Gefeierte der szenischen Lesung am Abend allerdings fernbleiben. Er sandte via Direktor Schottenberg seinem geliebten Wiener Publikum herzlichste Grüße mit der Absicht, beim zweiten Vorstellungstermin am 30. Oktober dabei sein zu wollen. Unter der spitzfindig karikierten Patronanz ihres Theaterdirektors lasen und sangen Hilde Sochor, Maria Bill, Jennifer Frank, Marcello de Nardo und Rainer Frieb zu gelegentlicher Klavierbegleitung von Julia Siedl aus Tabori- Texten, wie beispielsweise dem Erinnerungsband Autodafé oder der epigrammatischen Schöpfungsgroteske Goldberg Variationen.

Das wundersamste, aber bezeichnenderweise stimmlose Geschöpf stakste an diesem Abend in Form der (echten) Henne Mizzi (aus der Hitlerfarce Mein Kampf) über die Rampe. Dass für das friedliche Zweibeinerchen in Wahrheit eine Verkochung in Blutsoße vorgesehen ist, gehört zum verlässlich witzhaften Horrorrepertoire des George Tabori.

Maria Bill eröffnete den Abend mit einer ergreifenden Lesung aus Mutters Courage, der unfassbaren Rettungsgeschichte von Taboris Mutter, die in einem Akt der Selbstbehauptung als einzige von viertausend Deportierten die Rückreise von Auschwitz nach Budapest antreten konnte.

Um – und das ist ganz Tabori – im Kreise ihrer Lieben eine Partie Rommé zu spielen. Hilde Sochor wetterte inDer siebente Akt gegen die auf Gesundheit und Jugendlichkeit eingeschworenen Weisheiten. Wiederum karikiert: Hier nimmt sich Tabori selbst nicht ganz ernst,weil er die übrigen, auf Kaffeehaustischen platzierten Schauspieler zeitgleich zum demonstrativen Bühnenschlaf angefeuert hat.

Schnarchgeräusche und müde Blicke irritieren, gehören aber klar zum Programm. Theater ist eben ein "fabelhafter Invalide", wie es Tabori selbst definierte. Mit seinen Wunden war es zu Gast. (Margarete Affenzeller /DER STANDARD, Printausgabe, 23.10.2006)