Finanzminister Karl-Heinz Grasser beim symbolischen Stürzen seiner Kassa gegenüber der SPÖ: Das Defizit ist um 1,5 Milliarden Euro niedriger.

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Der überraschende Kassasturz: 1,7 Prozent Defizit Ende September, 1,5 Prozent Defizit am 12. Oktober, jetzt 1,1 Prozent. Die Differenz beträgt 1,5 Milliarden Euro, weil die Steuern so sprudeln. Gestritten wird jedoch weiter: Entlastung oder Umverteilung, ist die Frage.

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Wien – Bei den Überschriften – keine neue Schulden, solide Staatsfinanzen – herrscht Einigkeit zwischen SPÖ und ÖVP. Geht es um die Details, ist die Kluft seit dem Wahlkampf nicht kleiner geworden. Ob die Chance auf eine große Koalition gestiegen oder gesunken sei nach dem freitäglichen Kassasturz, wurde gefragt: „Weder noch“, sagt die ÖVP.

Dabei hat sich die Sicht auf die Lage der Staatsfinanzen doch gründlich geändert, und das in sehr kurzer Zeit. Ende September, unmittelbar vor der Nationalratswahl, hatte Finanzminister Karl-Heinz Grasser ein Defizit von 1,7 Prozent nach Brüssel gemeldet. Vor rund einer Woche rechnete er der Öffentlichkeit ein Defizit von 1,5 Prozent vor. Die SPÖ konterte mit dem Vorwurf der „Schönfärberei“. Acht Tage später macht das Budgetdefizit laut Grasser für 2006 nur noch 1,1 Prozent aus.

Wundersame Vermehrung

Die wundersame Geldvermehrung beläuft sich auf eine Differenz von immerhin 1,5 Milliarden Euro. Grasser erklärt dies mit der guten Konjunktur und den dadurch sprudelnden Einnahmen aus Körperschafts- und Umsatzsteuer. SPÖ-Finanzverhandler Christoph Matznetter zeigte sich „irritiert“ darüber, dass „wöchentlich, fast täglich, die Zahlen andere sind“. Dennoch wolle man „sachlich“ bis kommenden Freitag zu einer gemeinsamen Zahlengrundlage finden, die Basis für die anderen Verhandler sein soll.

Querschüsse

Matznetter ist aber nicht nur mit Grassers überraschenden Zahlen konfrontiert, sondern auch mit Querschüssen aus den eigenen Reihen. Salzburgs SP-Landesrat Erwin Buchinger hat zur Finanzierung der vorgeschlagenen Grundsicherung eine Erhöhung der Vermögensbesteuerung im Ausmaß von bis zu drei Milliarden Euro in den Raum gestellt. Und SPÖ-Wirtschaftssprecher Johann Moser will rasch die Top-Positionen in der Verstaatlichtenholding ÖIAG mit „Leuten des Vertrauens“ besetzen.

Klare Absagen

Beiden Vorstößen erteilte Matznetter am Freitag eine klare Absage, lief den VP-Verhandlern Grasser, Vorarlbergs Landeshauptmann Herbert Sausgruber, Finanzsprecher Günter Stummvoll und Staatssekretär Alfred Finz aber dennoch ins mediale Messer.

Die wetterten: Drei Milliarden Euro mehr an Abgaben wäre „die größte Steuererhöhung in der Zweiten Republik“. Die SPÖ sei offenbar nur zu einer Entlastung bereit, wenn es auch neue Belastungen in Form von Gegenfinanzierungen gebe. Dabei hätten die Sozialdemokraten „unterbesteuerte Bevölkerungsgruppen“ entdeckt, witzelten Grasser & Co. Stummvoll: „Ich würde jedem Steuerzahler empfehlen, die Brieftasche festzuhalten, weil: Vielleicht gehört er auch zu einer unterbesteuerten Bevölkerungsgruppe.“

Entlastung des Mittelstandes

Matznetter hatte in seiner Präsentation hingegen von Bevölkerungsgruppen gesprochen, die „zu hoch“ besteuert würden, und eine Entlastung des Mittelstandes angekündigt. Priorität hätten die Senkung der Arbeitslosigkeit, die Bildungsreform und die Armutsbekämpfung. Finanziert werden soll das mit einer „anderen Verteilung der Steuerlast“. Etwa durch eine „ehrliche“ Körperschaftssteuer von 25 Prozent ohne Schlupflöcher. (Michael Bachner, DER STANDARD, Printausgabe 21./22.10.2006)

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Die Knackpunkte im Detail

Stichwort Steuerreform: Die SPÖ möchte rasche jene Gruppen entlasten, die "zu hoch besteuert werden". In diesem Zusammenhang will SP-Chefverhandler Christoph Matznetter auch über Gegenfinanzierungen verhandeln. Als mögliche Ansatzpunkte hatte die SPÖ schon im Wahlkampf die Abschaffung der Gruppenbesteuerung (sie war laut Matznetter am Freitag kein Thema) und Mehreinnahmen bei der Körperschaftssteuer ("ehrliche 25 Prozent") genannt.

Die ÖVP lehnt die Gegenfinanzierung von Steuersenkungen durch Mehreinnahmen in anderen Bereichen jedoch ab. Genüsslich berichteten die VP-Verhandler von Finanzminister Karl-Heinz Grasser abwärts in diesem Zusammenhang, dass die SPÖ in den Gesprächen von "unterbesteuerten Bevölkerungsgruppen" gesprochen habe. VP-Budgetsprecher Günther Stummvoll: "Nach dem heutigen Gespräch würde ich jedem Steuerzahler raten, seine Brieftasche festzuhalten. Es könnte sein, dass er eine unterbesteuerte Bevölkerungsgruppe ist."

"Hop oder Drop-Entscheidungen"

Stichwort ÖIAG: Finanzstaatssekretär Alfred Finz warf der SPÖ einmal mehr Postenschacher vor. Grund ist ein Interview, in dem SP-Wirtschaftssprecher Hans Moser "so schnell wie möglich" eine Neubesetzung der ÖIAG-Spitze forderte. "Parteisekretariate sollen wieder Vorstandsposten bestimmen", kritisierte Finz. Matznetter dementierte und betonte mit Blick auf eine mögliche vorzeitige Neubesetzung des Telekom-Finanzvorstands, die SPÖ sei lediglich gegen "Hop oder Drop-Entscheidungen".

Stichwort Budgetentwicklung: Am kommenden Freitag wollen Matznetter und Grasser der großen Runde der Koalitionsverhandler das Ergebnis ihres "Kassasturzes" vorlegen. Welche Wirtschaftsdaten (Arbeitslosigkeit, Wachstum) der Entwicklung bis 2010 zu Grunde liegen sollen, ist aber noch strittig. Während Matznetter für eine vorsichtige Prognose plädiert, hat Grasser seine Zahlen gegenüber dem vor einer Woche Präsentierten noch einmal nach oben korrigiert: Er erwartet für 2010 einen Überschuss von 0,18 Prozent des BIP (statt minus 0,09 Prozent).

Stichwort Vermögenssteuern: Für Stummvoll droht mit der vom Salzburger SP-Landesrat Erwin Buchinger ins Spiel gebrachten Anhebung der Vermögenssteuern die "größte Steuererhöhung der zweiten Republik". Matznetter dementierte: "Es gibt keinen Plan zur Erhöhung der Vermögenssteuern."

Offenbar einig waren sich die Länder-Vertreter, dass die Bundesländer die im Stabilitätspakt vereinbarten Überschuss-Ziele von 0,75 Prozent des BIP nicht oder nur schwer erbringen können. Vorarlbergs VP-Landeschef Herbert Sausgruber auf die Frage, ob das Ziel nicht ein bisschen hoch sei: "Ein bisschen hoch ist untertrieben, es ist aber vereinbart." Oberösterreichs SP-Landesrat Hermann Keplinger fordert eine "Neukonfiguration" des Stabilitätspaktes. Grasser hat die Überschüsse der Länder in seiner Prognose bis 2010 jedenfalls schon auf 0,4 Prozent gesenkt - nur die laut Grassers "optimistische" Variante setzt noch 0,75 Prozent an. (APA)