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Gebetsmühlen findet man überall in Tibets Klöstern.

Foto: China Fotos/Getty Images
In den frühen Morgenstunden dreht der Kochgehilfe Gyanjan Lama mit seiner Teekanne seine Runde von Zelt zu Zelt. Er weckt die Mitglieder der Trekking-Tour mit einem herzhaften "Julee", was so viel heißt wie "Guten Morgen" oder "Wie geht's", und einer dampfenden Tasse frisch gebrühten schwarzen Tees.

Hier im Basecamp, auf 4650 Meter Höhe inmitten der Hochalm von Nimaling, im gewaltigen, geheimnisvollen Himalayagebirge von Ladakh, herrscht heute bereits besonderes geschäftiges Treiben. Wie verwirrte Leuchtkäfer schwirren die Wanderer mit ihren Stirnlampen umher, in hektischen Vorbereitungen zum Aufbruch, während es langsam zu dämmern beginnt.

Die Rucksäcke und Expeditionstaschen werden gepackt, die Zelte von den einheimischen Helfern rasch wieder abgebaut, alles wird auf die Pferde verladen. Die Mitglieder des Treks setzen sich im Gemeinschaftszelt noch rasch zu einem kurzen Frühstück zusammen. Es gibt Omelette, Fladenbrot mit mehreren Marmeladen zur Auswahl, Porridge, Milchreis, Kaffee und Tee.

Alle sind ein wenig stiller als sonst, schließlich liegt die längste Etappe auf den höchsten Punkt der Tour vor ihnen. Der 5150 Meter hohe Kongmaru-La (auf Ladakhisch heißt "La" Pass) ist zu erklimmen. Danach geht es auf der anderen Seite wieder bis auf 3700 Meter hinunter zum letzten Lager der Trekkingtour. Acht Tage sind die Wanderer jetzt unterwegs, ein wenig müde schon, aber alle recht zuversichtlich, die letzte schwere Hürde zu meistern.

Am zweiten Tag geht`s richtig los

Begonnen hatte die Tour eigentlich recht einfach mit einer Autofahrt von der ladakhischen Hauptstadt Leh bis zum Kloster Spituk, wo die Lastpferde beladen wurden. Die Strecke führt am ersten Tag entlang des Indus und dann, in ein kleines Seitental abzweigend, bis zum ersten Lagerplatz Zingchen. Am zweiten Tag geht's dann so richtig los. Entlang des Rumbakflusses wandert man immer höher bis zum Ort Rumbak. Hier beginnt der Hemis-Nationalpark, in dem Wölfe, Schneeleoparden, Füchse und Murmeltiere leben sollen. Die tibetischen Wölfe sind dann auch öfters des Nachts beim Um-die-Wette-Heulen zu hören. Die Murmeltiere sitzen meist unweit des Weges auf einem Stein, halten unverfroren ihren fetten Wanst in die Sonne und lassen sich dabei bereitwillig fotografieren. Immer höher steigt die Truppe, am kleinen Ort Yurutse vorbei, bis ins erste Basecamp auf 4300 Meter Höhe, da schnappen alle schon ganz schön nach Luft. Jeder hat riesige Mengen Arzneimittel dabei und ist sein eigener Hobby- höhenmediziner. Die einheimischen Begleiter lässt das alles kalt, sie gehen oder laufen meist mit riesigen Rucksäcken in Turnschuhen, Schlapfen oder viel zu großen Bergschuhen an den Trekkern vorbei, um im nächsten Lager möglichst schnell für möglichst viel Komfort zu sorgen. Und dabei lachen und singen sie den ganzen Tag.

Der Abend in dieser Höhe ist für die Wanderer eine völlig neue Erfahrung. Luftschnappend löffeln sie im Gemeinschaftszelt die köstliche Nudelsuppe und trinken Unmengen Tee, was gut und wichtig ist zur Höhenanpassung. In den Schlafsack wird schon sehr früh gekrochen, der nächste und dritte Tag verlangt den Aufstieg über den 4900 Meter hohen Gandha-La.

Im Schneckentempo kriechen die meisten der Trekking-Truppe am nächsten Tag über den Pass, der ein wenig höher liegt als der Mont Blanc. Danach geht es schnell wieder hinunter bis zum Dorf Skiu und ein paar Tage entlang des Markha-Flusses, der dem Tal und auch dem Trek, über den hier berichtet wird, den Namen gibt. Eigentlich sollte die nun folgende Gegend ein grünes, blühendes Tal, links und rechts eingeschlossen von gewaltigen, in vielen Farben schillernden Bergriesen sein. Ein gewaltiges Hochwasser im August hat aber viel von der Vegetation und zahlreiche Wege zerstört. Zurückgeblieben sind große Mengen trockenen Schlammes, der die Wanderreise nun zu einem sehr staubigen, manchmal auch eintönigen Erlebnis macht.

Freude unter den Bergsteigern

Aber als am sechsten Tag die Route aus dem Markha-Tal wieder in höhere Regionen abzweigt, am Horizont die ersten Gletscherriesen zu sehen sind, freuen sich vor allem jene Teilnehmer, denen besonders das Bergsteigen ein Anliegen ist. Vorbei geht es an Blumenwiesen, riesigen Ziegenherden und einem malerisch gelegenen, kleinen Bergsee in Richtung Nimaling-Hochebene, der Sommerweide der Tiere der hier ansässigen Bevölkerung. Im Basecamp angekommen, erholen sich die meisten Trekker ausgiebig für die schwere Aufgabe des nächsten Tages. Ein paar sind jedoch noch so voller Elan, dass sie bis an den Gletscherrand des nahe gelegenen 6400 Meter hohen "Kangjatse" hinaufsteigen, eine Trainingstour extra quasi.

Am Morgen danach erinnern die ersten gleichförmigen Schritte in Richtung Kongmaru La manchen Wanderer an das Drehen der unzähligen Gebetsmühlen, die in allen von den Wanderern besuchten Klöstern zu finden waren.

Die Morgendämmerung ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass keine Stirnlampen mehr notwendig sind. Die Truppe geht anfangs noch brav im Gänsemarsch ihrer Führerin Rinchen Dolma nach. Sie kommandiert die ganze Karawane an Menschen und Packpferden erfolgreich seit acht Tagen über hohe Pässe, durch unwegsame Täler, über schwankende Brücken oder knietief im Wasser durch reißende Flüsse. Langsam schreitet die kleine ladakhische Power-Frau in ihren Turnschuhen voran. Manchmal bleibt sie stehen, um, gestützt auf ihren einfachen Holzstab, die nach Atem ringenden Wanderer zu beobachten.

Nach einer guten Stunde Gehzeit blitzt langsam die Morgensonne über der Höhe des Passes hervor und beleuchtet die Gletscherlandschaft des gegenüberliegenden Eisriesen "Kangjatse". Die Trekkingtruppe ist inzwischen weit auseinander gezogen, die Konditionsverhältnisse sind doch ein wenig unterschiedlich. Aber eines ist bei allen gleich. 50 bis 70 Schritte gehen, dann stehen bleiben und ein, zwei Minuten kräftig nach Luft schnappen.

Die Sonne beleuchtet inzwischen die gesamte Hochebene mit ihrer wüstenähnlichen Landschaft, die nur ab und zu durch ein paar karge Grasbüschel unterbrochen wird. Die umliegenden, endlos bis an den Horizont reichenden Bergketten leuchten je nach Sonneneinstrahlung in den verschiedensten Rot-, Violett- bis Brauntönen. Die empfindliche Kälte, die in der Nacht die umliegenden kleinen Bäche mit einer dünnen Eishaut überzogen hatte, weicht langsam einer Temperatur, die die Goretex- und Fleecejacken wieder in die Rucksäcke verschwinden lässt. Auf halber Höhe bleibt Rinchen stehen, nimmt ihren Rucksack ab und ruft "Trinkpause". Darüber sind alle sehr erfreut, so kann man sich kurz ein wenig erholen. Dann die letzten 250 Höhenmeter. Die Stöcke werden fester in die Hand genommen, und langsam arbeitet sich die Truppe hinauf. In immer geringerer Entfernung sieht man jetzt schon hunderte bunte Gebetsfahnen im Wind wehen. "Da vorn ist der Pass, wir haben es geschafft", jubeln die Ersten und fallen sich in die Arme. Rinchen eilt händeschüttelnd von Teilnehmer zu Teilnehmer. "Julee" ruft sie, scheinbar heißt das auch "Gratuliere".

Erinnerungsfoto in dünner Luft

Dann ordnet sie die vom Wind stark zerzausten Gebetsfahnen, alle stellen sich für die notwendigen "Gipfelfotos" zusammen, die Stimmung ist entspannt, fast ein wenig ausgelassen, und das auf fast 5200 Meter Seehöhe. Nach einer kurzen Pause geht die Reise auf der anderen Seite in recht steilen Serpentinen wieder hinunter. Am späten Nachmittag wird nach langem Marsch dann endlich der letzte Lagerplatz erreicht. An der erhöhten Menge Müll, der um das Lager herum angehäuft ist, merkt man, dass die Zivilisation nicht mehr weit sein kann. Aber die Wanderer sind nach acht Tagen Trekking-Tour auch nicht mehr gerade die saubersten. Und dann ist es Abend, und der Expeditionskoch "Maître" Kumar Tamang zaubert noch einmal ein mehrgängiges Menü in seinem Kochzelt. Köstliche Suppen, Nudeln und Reis werden gereicht. Ein Teil der Trekker träumt schon seit Tagen von einem kühlen Bier. Heute ist es endlich so weit.

In so etwas wie einem "Gasthaus" neben dem Zeltlager gibt es " Godfather 10.000", ein wohl schmeckendes indisches Bier, in großen Flaschen zu kaufen. Das wird dann zur Feier reichlich konsumiert. Als am nächsten Morgen Gyanjan Lama mit seiner Teekanne durch das Zeltlager stapft, wird er von den Wanderern mit einem fröhlichen "Julee" begrüßt. Alle haben hervorragend geschlafen, "Godfather" sei Dank. (Martin Grabner/Der Standard/Rondo/20.10.2006)