Moskau/Wladiwostok - Nach dem Mord an der kritischen Journalistin Anna Politkowskaja und des Wirtschaftsexperten der Nachrichtenagentur Itar-Tass ist in Russland erneut ein Mord mit vermutlich politischem Hintergrund verübt worden. Drei Tage vor einer Bürgermeisterstichwahl im Fernen Osten des Landes wurde einer der beiden Kandidaten am Donnerstag erschossen.

Der Regionalpolitiker Dmitri Fotjanow, Mitglied der Kreml-nahen Partei "Geeintes Russland", wurde am Donnerstag in der ostrussischen Stadt Dalnegorsk umgebracht. Mindestens ein Attentäter habe aus einer Kalaschnikow das Feuer auf Fotjanow eröffnet, als dieser gerade von einem Wahlkampfauftritt gekommen sei, teilte die Polizei mit. Fotjanow sei vier Mal getroffen worden und kurz darauf seinen Verletzungen erlegen. Die Suche nach den Killern sei zunächst ergebnislos verlaufen.

Stichwahl am Sonntag

Fotjanow kandidierte bei der Stichwahl am kommenden Sonntag für das Bürgermeisteramt in Dalnegorsk. Am 8. Oktober war der Politiker bei der ersten Wahlrunde knapp hinter seinem Konkurrenten Alexander Terebilow gelandet. Er und Terebilow bezichtigten einander gegenseitig des Stimmenkaufs und der versuchten Wahlfälschung. Es war vorerst fraglich, ob die Stichwahl abgesagt werden wird, oder ob der Drittplatzierte an Fotjanows Stelle aufrücken sollte.

Nach dem Mord an Fotjanow kam es in der 50.000 Einwohner zählenden Stadt Dalnegorsk zu Protestkundgebungen aufgebrachter Bürger. Die Tat geschah zwei Tage nach dem Attentat an dem Vermögensverwalter der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass Anatoli Woronin und zwölf Tage nach der Ermordung Politkowskajas. Vor nicht allzu langer Zeit wurde der Vizechef der russischen Zentralbank erschossen. Andrej Koslow war für die Reform der russischen Bankenbranche zuständig und hatte zuletzt zahlreiche kleine Institute schließen lassen, denen Geldwäsche vorgeworfen wird. Vor einer Woche wurde der Manager einer Privatbank Opfer von Auftragskillern.

EU will Politkowskaja-Mord ansprechen

Die Europäische Union will den Mord an Politkowskaja zum Thema ihres Gipfels mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin machen. Die finnische Europa-Ministerin Paula Lehtomaki als Vertreterin der EU-Ratspräsidentschaft hatte unlängst in diesem Zusammenhang von einem schweren Rückschlag für die Meinungsfreiheit in Russland gesprochen. Die EU werde auf dem Gipfel im finnischen Lahti am Freitag alle wichtigen Fragen ansprechen. Die für den Mord Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, verlangte Lehtomaki. "Dies ist ein besonders wichtiger Test der Rechtstaatlichkeit in Russland."

Unterdessen müssen mindestens 96 Nichtregierungsorganisationen in Russland ihre Tätigkeit zumindest vorläufig einstellen. Unter ihnen sind auch amnesty international, Human Rights Watch und der Dänische Flüchtlingsrat. Am Donnerstag lief die Frist ab, innerhalb der laut einem neuen Gesetz die Registrierungspapiere der NGOs mit Sitz im Ausland bearbeitet werden mussten.

Anatoli Pantschenko vom Justizministerium teilte mit, dass die Behörden im Fall der 96 Organisationen den Prozess der Registrierung nicht rechtzeitig hätten abschließen können. Die Behörden haben den NGOs vorgeworfen, die Anträge nicht rechtzeitig vorgelegt zu haben. Das im April in Kraft getretene Gesetz ist von Menschenrechtsaktivisten und westlichen Regierungen als Versuch des Kremls kritisiert worden, Kritiker zum Schweigen zu bringen. (APA/dpa/Reuters/AP)