IHS-Chef Bernhard Felderer rechnet damit, dass zahlreiche Nachkriegsgebäude in den kommenden Jahren abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden.

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AK-Experte Franz Köppl möchte Hauseigentümer zu höheren Investitionen für den Erhalt und die Verbesserung ihrer Gebäude zwingen. Dann erübrige sich so mancher Abriss, sagt er.

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Gemeinnützigen-Obmann Karl Wurm sieht noch keine deutschen Verhältnisse auf Österreich zukommen. Aber Reconstructing sei in vielen Fällen die beste Option.

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Österreichs Gemeinnützige haben in den vergangenen beiden Jahrzehnten rund zwei Drittel der in der Nachkriegszeit errichteten Wohnbauten saniert und weniger als ein Prozent abgerissen. Das muss aber nicht so bleiben, betonte Karl Wurm, Obmann des Österreichischen Verbands gemeinnütziger Bauvereinigungen (GBV), in seinem Einführungsreferat auf dem Wohnsymposium. Denn gerade der Blick hinüber nach Deutschland zeige, dass Abriss und Neubau in vielen Fällen der wirtschaftlich und sozial bessere Weg sei.

Dies betreffe meist Plattenbauten, deren schlechter Zustand zu hohen Leerständen führt, die Rentabilität weiter drückt und eine ordentliche Instandhaltung verhindert. In solchen Fällen kann auch eine Sanierung das Image des Gebäudes nicht wieder herstellen. Dazu komme, dass eine Sanierung auch technisch und ökologisch oft schwierig sei.

Aber noch sind solche Fälle in Österreich weitaus seltener als in Deutschland, wo etwa im Rahmen des "Stadtumbau Ost"-Programms 320.000 Wohneinheiten bis 2009 abgerissen werden sollen.

Die Entscheidung, ob saniert oder abgerissen werden soll, hängt für Wurm neben einer umfassenden betriebswirtschaftlichen Rechnung von der Sozialstruktur und Wohnzufriedenheit, stadtplanerischen Faktoren und auch der architektonischen Qualität ab. "Entscheidend für die Sanierung ist, wie viel Potenzial das Gebäude für die Herstellung nachfragegerechter Wohnungen aufweist", lautete Wurms Schlussfolgerung.

Kein schmales Loch

Gerade bei Wohnhäusern, die zwischen 1945 und 1980 entstanden sind, ist dieses Potenzial oft sehr niedrig, warnte der Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS), Bernhard Felderer. "Zu niedrige Decken, ein zu kleiner Lift, zu kleine Badezimmer und zu schmale Stiegenhäuser werden von den Bewohnern immer weniger akzeptiert", erklärte der Ökonom. "Immer mehr Leute sagen: In dieses schmale Loch gehe ich nicht mehr hinein." Die Nachfrage regle die Sache, denn "die Mieter sorgen dafür, dass diese Häuser aus dem Markt ausscheiden."

In vielen Fällen, glaubt Felderer, ist ein Neubau günstiger als eine Sanierung und sollte auch durchgezogen werden. Schließlich stelle der Rohbau nur 30 Prozent der Gesamtkosten da; bei schlechten Grundrissen und unattraktiven Fassaden zahle es sich nicht aus, diese zu erhalten. Nur besonders gute Lagen seien vor der Abrissbirne sicher.

Dies gelte nicht für Gründerzeithäuser, denn diese sind großzügiger gebaut, hätten einladende Treppenhäuser sowie gegliederte Fassaden, und "werden selbst dann erhalten, wenn sie schwer beschädigt sind", betonte Felderer. Wenn solche Qualitäten fehlen, sei es legitim, ein Haus nach einigen Jahrzehnten abzureißen.

Eine Abriss- und Reconstructingwelle in den kommenden Jahren werde auch den zuletzt brachliegenden Wohnbau wieder ankurbeln, ist der IHS-Chef überzeugt. "Der Rückgang der Wohnbautätigkeit von sieben auf vier Prozent des BIP in den letzten zehn Jahren wird nicht so bleiben. Wir werden deutlich mehr Wohnbautätigkeit sehen, und das mit oder ohne Wohnbauförderung. Denn die Nachfrage ist da."

Sanieren und erhalten

Dieser Prognose widersprach Franz Köppl, der Wohnpolitik-Experte der Arbeiterkammer Wien. "Die meisten Bewohner wollen sanieren und erhalten. Ein Abriss wird nur dann überlegt, wenn der Erhalt verabsäumt worden ist", beschrieb er die Position der Bewohner.

Köppl forderte daher eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Erhaltungs- und Verbesserungsbeiträge, die von Hauseigentümern beiseite gelegt werden müssen, und eine verbesserte Durchsetzbarkeit von Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten. "Die Gemeinden können die Hauseigentümer dazu anhalten, sie tun es aber nicht", kritisierte er. Die Mindestbewohnerquote, ab der man eine Verbesserung fordern kann, sollte von 50 auf 25 Prozent gesenkt werden.

Köppl kritisierte die Wohnrechtsnovelle 2006, die nach seinen Worten ermöglicht hat, dass 40 Prozent der Mietzinsreserven ausgeräumt werden können. Dies müsse rasch wieder rückgängig gemacht werden. Auch die Aushöhlung der Wohnbauförderung müsse beendet werden, denn "es steht immer weniger Geld für Neubau und Sanierung" zur Verfügung.

"Gott bewahre uns"

Keinesfalls dürfe die gesetzliche Möglichkeit einer Änderungskündigung zum leichteren Abriss eingeführt werden, warnte Köppl - und war darin einig mit der ÖVP-Justizsprecherin Maria Fekter (siehe Artikel "Zwangsabsiedelung darf es nicht geben" ). Sollte Reconstructing unvermeidbar sein, müsse dies im Konsens mit den Mietern geschehen. Ein solcher Schritt müsse gut überlegt und gut vorbereitet sein, sagte Köppl und schloss mit einer Warnung, die an Friedrichs Torbergs Tante Jolesch erinnerte: "Gott bewahre uns vor jedem Haus, das gerade noch nicht abgerissen wird." (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.10.2006)