Der Politikwissenschafter Emmerich Tálos sieht beträchtlichen Handlungs- und Veränderungsbedarf in einem Bereich, in dem sich die potenziellen Koalitionspartner gerade die Haare raufen: "Ich halte Schritte in Richtung soziale Grundsicherung für unverzichtbar, um Armut einzuschränken und soziale Perspektiven zu eröffnen." Den Generationenvertrag sieht der 1944 Geborene gerne anders herum: "Jüngere Menschen werden in Zukunft nicht nur das Problem haben, ob sie im Alter ausreichend materiell abgesichert sind, sondern wie sie aktuell ihre Existenz angesichts des gravierend veränderten Arbeitsmarktes sichern können."

Gute Politikwissenschafter müssten neben einem großen Interesse an Politik "einen kritischen Blick auf deren Facetten und die nötige Distanz zu ihren Trägern haben", beschreibt Tálos das Verhältnis zu seinem Forschungsgegenstand. "Intellektuelle Mobilität" ist gefragt angesichts des beständigen Wandels, also "ein langer Atem und keine Scheu vor zeitaufwändigem Engagement". Seine Position als Hochschullehrer am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien erlaubt ihm "zum Glück ohne Schranken im Kopf Stellung zu nehmen, ob es politischen Akteuren passt oder nicht".

Die Stadt Wien würdigte seine Aufklärungsarbeit - auch außerhalb der fachlichen Kreise - kürzlich mit dem Preis für Volksbildung 2006. Tálos freut sich und interpretiert die Auszeichnung "als Anerkennung für meine Aufklärungsarbeit im außeruniversitären Bereich mit Vorträgen oder Stellungnahmen in Medien zu aktuellen Themen". Seine Produktivität in punkto wissenschaftlicher Literatur ist beträchtlich: Tálos hat bisher neben vielen Artikeln über 30 Bücher alleine oder in Zusammenarbeit mit Kollegen, davon sieben in den letzten zwei Jahren, publiziert.

2002 engagierte sich der gebürtige Burgenländer auch für das Sozialstaatvolksbegehren, "weil mein Selbstverständnis über den Tellerrand der Wissenschaft hinausreicht und gesellschaftspolitisches Engagement einschließt". Er ist überzeugt, "dass sozialstaatliche Steuerung einen wichtigen Beitrag zur Sicherung von Teilhabechancen in Österreich geleistet hat und heute nicht weniger notwendig ist". Er selbst beschäftigt sich bereits seit den 1970ern mit Entwicklung, Herausforderung, Stellenwert und Struktur des Sozialstaats.

Geprägt durch sein soziales Umfeld wollte Emmerich Tálos zunächst Priester werden. Er studierte Katholische Theologie in Wien und Tübingen, dort entschied er sich aber gegen eine Rückkehr ins Wiener Priesterseminar. Dort begann er auch sein - bis dato nicht abgeschlossenes - Geschichtestudium. Das Interesse für Zeitgeschichte wirkt bis heute in der Wahl seiner Schwerpunkte.

Sozialpartnerschaft und Austrofaschismus

Arbeitete er zuletzt an zwei kritischen sozialwissenschaftlichen Analysen über die nunmehr abgewählte Regierungskonstellation, steht künftig "der politische Stellenwert der Sozialpartnerschaft sowie Analysen zu den Reformen im Sozialstaat und zum Austrofaschismus" auf seiner Forschungsagenda. Nach einem Jahr als Lektor in Mainz kehrte er nach Wien zurück und schlug 1972 mit dem Postgraduate Studium der Politikwissenschaft am Institut für Höhere Studien (IHS) "interessensmäßig einen völlig neuen Weg ein".

Am wissenschaftlichen Arbeiten schätzt der Forscher "die permanente Herausforderung und die Möglichkeit, Wissen und Verständnis immer weiter zu vertiefen, den Freiraum bei Gestaltung inhaltlicher Schwerpunkte und die Vermittlungstätigkeit in der Lehre".

Seine Freizeit verbringt Emmerich Tálos gerne aktiv: Gemeinsam mit seiner Frau reist er, geht wandern und - als wäre die tägliche Beschäftigung mit Politik nicht spannend genug - liest Krimis. (Astrid Kuffner/DER STANDARD, Printausgabe, 18. Oktober 2006)