Wien - Eigentlich bestand für den Eurofighter-Vertrag absolute Vertraulichkeit. Und das Amtsgeheimnis. Nicht einmal Bundespräsident Heinz Fischer, der formal auch Oberbefehlshaber des Bundesheeres ist, durfte den Vertrag sehen. Dann kam die Wahlniederlage der ÖVP, und Verteidigungsminister Günther Platter ließ das vertrauliche Vertragswerk per Boten in der Präsidentschaftskanzlei abliefern. Am Freitag erhielt schließlich auch SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer das Konvolut. Noch-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel überreichte es ihm am Ende der ersten Runde der Koalitionsverhandlungen. Weil Gusenbauer nun, da er mit der Regierungsbildung beauftragt ist, ein Staatsorgan sei. Das war der SPÖ-Chef allerdings auch schon als Abgeordneter zum Nationalrat, wie Verfassungsjuristen feststellten.

Die Grünen und das BZÖ sind empört. Sie hatten zwar immer die Herausgabe des Vertrags gefordert, werfen nun aber der ÖVP "Bruch des Amtsgeheimnisses" vor. Für den Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider ist die Weitergabe des Eurofighter-Vertrages durch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel an Gusenbauer ein "klarer Fall von Amtsmissbrauch". Gusenbauer sei nach wie vor weder Bundeskanzler noch Regierungsmitglied. "Daher stellt Schüssels Weitergabe eine grobe Verletzung der Amtsverschwiegenheit und damit Amtsmissbrauch dar."

Haider vermutet hinter der missbräuchlichen Weitergabe "eine Morgengabe für die große Koalition". Schüssel wolle Gusenbauer und die SPÖ besänftigen und mit der Weitergabe des Eurofighter-Vertrages den größten Stolperstein für eine große Koalition aus dem Weg räumen. Wenn Schüssel die Weitergabe damit begründe, dass Gusenbauer ein "Staatsorgan" sei, dann hätten sämtliche Parlamentsparteien Anspruch auf Einsicht in den Vertrag.

Der scheidende Nationalratspräsident Khol ruft in der

Eurofighter-Auseinandersetzung zwischen SPÖ und ÖVP zu Sachlichkeit auf. "Dieses Problem darf nicht zum Stolperstein" für eine große Koalition werden, sagte Khol am Samstag. Die umstrittene Übergabe des Eurofighter-Vertrags an Gusenbauer ist laut Khol "juristisch richtig und vom Menschenverstand her fair". An sich bestehe zwar das Amtsgeheimnis. Aber Schüssel habe ein Gutachten der Finanzprokuratur, wonach es ihm möglich sei, den Vertrag zu übergeben. Außerdem werde man damit auch der "riesigen Mythologie" entgegentreten können.

Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll ärgert sich darüber, dass Bundespräsident Fischer als Oberbefehlshaber des Bundesheeres keine "klare Position" in der Eurofighter-Frage bezogen habe. Einen Eurofighter-Untersuchungsausschuss sieht Niederösterreichs VP-Chef "beim jetzigen Diskussionsstand" aber nicht als Grund, die Koalitionsverhandlungen platzen zu lassen. (red/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.10.2006)