Nach wie vor virulente Endzeithoffnung (und deren ständige Enttäuschung): "A Short Film about The Indio National ...".

Foto: Viennale
... ein Experiment, das Erzählungen auf den Philippinen zu seinem Thema macht.


Was für Juden und Christen der Messias und für Schiiten der zwölfte Imam ist, ist für die Indios auf den Philippinen ein endzeitlicher Held namens Bernardo Carpio. Gegenwärtig ist er noch an einen Berg geschmiedet, der Legende nach hat er aber beide Arme und ein Bein schon losgerissen (wodurch er jedesmal ein Erdbeben in der Region ausgelöst hat), und nun warten die Menschen auf seine (und ihre) Befreiung.

Die Geschichte von Bernardo Carpio ist von entscheidender Bedeutung für Raya Martins Film Maicling pelicula nang ysang indio nacional (O ang mahabang kalungkutan ng tagalugan), dessen Titel (übersetzt: A Short Film about the Indio National or The Prolonged Sorrow of Filipinos) schon andeutet, dass es sich hier um nicht einfach um einen Erzählfilm handelt, sondern um ein Experiment, das Erzählungen auf den Philippinen zu seinem Thema macht.

Der junge Regisseur Raya Martin lässt sich Zeit mit der Exposition: Zehn Minuten zeigt er eine Frau im Halbdunkel einer tropischen Nacht. Sie kann nicht schlafen, schließlich weckt sie ihren Mann, lässt sich eine Geschichte erzählen. Diese handelt von einem Jungen, dem in tiefer Nacht ein alter Mann mit einem Sarg auf dem Rücken begegnet, der sich nach einigem Nachfragen auch vorstellt: "Ich bin dein Land, das in Stille leidet und die Übel und Angriffe erträgt, die über mich ergehen."

Diese allegorische Identifizierung des Landes mit konkreten Figuren trägt dann auch den ganzen Film, der in seinem Hauptteil aufs frühe Kino zurückblickt. In schwarz-weißen Bildern ohne Dialog, dafür mit Zwischentiteln, erzählt Martin von einem Jungen im späten 19. Jahrhundert, der in seinem Dorf die Kirchenglocke läutet.

Martin zeigt, wie der junge Held heranwächst, sich den Aufständischen anschließt, vor einer Kommandoaktion aber erkrankt und in den Dämmerzustand zurücksinkt, der wiederum zum Bild für die Lage des Volkes wird. Da der Held es als Guerilla zu nichts bringt, erscheint er wenig später als Mitglied einer Theatergruppe, die sich mit der Darstellung lokaler Legenden beschäftigt.

Bernardo Carpio tritt hier als einfacher Mann auf, der von den spanischen Autoritäten gefangen wird. Die Befreiung findet nicht statt. Martin bezieht sich in seinem Film auf historische Sachbücher, in denen die "popular movements" zwischen 1840 und 1910 beschrieben werden, aber auch auf einen anonym in einer Zeitung erschienenen Text, der die nach wie vor virulente Endzeithoffnung der philippinischen Bevölkerung (und deren ständige Enttäuschung) zum Thema hat.

A Short Film About the Indio National ist ebenso sehr Fantasie wie Traktat. Martin versteckt seine Kritik an der Frömmigkeit hinter dem impliziten Slapstick, den er durch die Stummfilm-Paraphrase gewinnt. Mehr über "the prolonged sorrow of Filipinos" dann am Dienstag, wenn der monumentale Heremias von Lav Diaz läuft. (Bert Rebhandl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15./16.10.2006)