Walter Barfuß droht der Markt-Übermacht mit der "Unguided Missile Walter Barfuß". Macht studiert er gern, auch am Beispiel Mussolini, Churchill oder Franco.

Zur Person
Walter Barfuß (69) war Seniorpartner einer der größten Anwaltkanzleien Österreichs, bis er vor vier Jahren von Minister Martin Bartenstein zum Chef der neuen Bundeswettbewerbsbehörde gekürt wurde.
Die Vorfahren des selbst- und auftrittsicheren Universitätsprofessors waren "kleine Krieger und preussisch-brandenburgische Beamte und Adelige", wie er erzählt. Barfuß hat Jus und Politikwissenschaft studiert; in seiner heutigen Rolle versteht er sich als "Droher und Mediator".

Foto: STANDARD/Regine Hendrich
Der Chef der Bundeswettbewerbsbehörde hat im Lebensmittelhandel seinen Lieblingsgegner. Warum ein liberalisierter Markt "erst recht staatliche Kontrolle braucht" und was ihn an Franco fasziniert, trug er Renate Graber vor.

***

STANDARD: Sie sind seit vier Jahren Chef der Bundeswettbewerbsbehörde, haben noch ein Jahr vor sich. Die Lebensmittelbranche hat es Ihnen besonders angetan; Wettbewerbsverzerrungen bei Billa und Co etwa. Da hinten hängt ein Bild von Ihnen mit hoch erhobenem Zeigefinger. Drohen Sie gegen Marktmacht-Missbrauch?

Barfuß: Ja, die Drohung ist wichtig, und das Bild, das übrigens mein Sohn gestaltet hat, sehr passend. Ich mahne gesunden Wettbewerb ein; gesund ist er, solange er nicht unlauter ist. Dort, wo kein Wettbewerb stattfindet, sind sofort die Maden im Speck da. Ob das wissenschaftlich erwiesen ist, weiß ich nicht, aber das ist mir auch gleichgültig, offen gestanden.

STANDARD: Derzeit beschäftigt Sie wieder ein Handelsfall: Der ohnedies sehr mächtige Rewe-Konzern kauft sich bei Adeg ein. Ein Dorn im Hüterauge?

Barfuß: Wir wurden vergangenen Dienstag damit konfrontiert, dass es Adeg sehr, sehr, sehr schlecht gehe, man müsse bis Ende der Woche Entscheidungen treffen, es drohe die Insolvenz. Es gab dann Sitzungen, nach unserem Fusionskontrollrecht muss man die Beteiligung unter 25 Prozent aber nicht anmelden. Wir werden uns trotzdem allfällige Lieferverträge und Extra-Vereinbarungen sehr genau anschauen, denn dort spielt ja die Musik. Dort entscheidet sich, wie unabhängig Adeg in seiner wirtschaftlichen Gestion überhaupt bleiben wird. Rewe, Adeg und alle Beteiligten wollen ja auch ein Arrangement. Wir arbeiten derzeit sozusagen aus überdurchschnittlichem Beamtenfleiß.

STANDARD: Sie waren Zeit Ihres Berufslebens Anwalt, jetzt fühlen Sie sich schon als Beamter?

Barfuß: Nein, aber ich sag es immer gern, weil ich meine eigene Einstellung zum Durchschnittsbeamten habe: Das Berufsbeamtentum und die beamtete Bürokratie funktionieren nur, weil rund ein Viertel von ihnen mit immensem Fleiß und Idealismus das Werkl aufrechterhält. Man fragt sich, warum die das tun.

STANDARD: Und die anderen?

Barfuß: Sind im Sicherheitsnetz. Es kann ihnen nichts passieren.

STANDARD: Kurz zurück zu Ihrem Lieblingsgegner Rewe. Sie sprechen von Arrangements. Wird da gemauschelt?

Barfuß: Die Beteiligten kommen zu mir, um ihre Belieferungsverträge zu besprechen. Man redet, die Beteiligten versuchen, die Wettbewerbsbehörde weich zu klopfen. Das Ganze ist ein immens psychologischer Krieg, ich fungiere als Mediator. Die Lebensmittelbranche ist eigentlich ein Oligopol, die Nahversorgung gibt es nicht mehr, dafür jede Menge Supermärkte.

STANDARD: Ist das für irgendjemanden ein echtes Problem?

Barfuß: Für die Konsumenten war das bisher gar nicht schlecht: Die Preise fallen, die Qualität stimmt. Da muss man nicht, wie beim Greißler, das Ablaufdatum kontrollieren, das Einkaufswagerl über die Stiegen zerren ...

STANDARD: Klingt, als würden Sie selbst dort einkaufen.

Barfuß: Wir haben nahe Wien ein Haus, und meine Frau war heilfroh, als ein Billa dort aufgesperrt hat. Und der Bürgermeister: War ganz stolz, dass es ihm gelungen ist, eine Filiale dorthin zu bringen. Als ich ihm dann sagte "Na, du bist ein schöner ÖVP-Bürgermeister, einer für die Kleingewerbetreibenden", sagte er nur, "Die Leute wollen das". Das ist eine der Ursachen für die Entwicklung. Für die Lieferanten ist es natürlich schwierig, auf die wird Druck ausgeübt. Aber die "unerträgliche Nachfragemacht" kennen wir ja seit Jahrzehnten, alles nichts Neues. Wir werden ja sehen bei Adeg: ob die Korsettschnüre enger gezogen werden von Rewe.

STANDARD: Sie erwähnen die ÖVP, sind selbst ein Bürgerlicher und haben als solcher auch diesen Job hier bekommen. Was sagen Sie zur Wahl?

Barfuß: Die ÖVP hat weder ihre Leistung noch ihre Ideen verkaufen können. Ich habe immer gesagt, dass Gusenbauer ernst zu nehmen und kein Niemand ist. Was bin ich beschimpft worden von den ÖVP-Leuten! Aber nur dass das klar ist: Ich hänge auch nicht – wie das oft vermutet wird – am Rockschößel von Wirtschaftsminister Bartenstein, zu dem die Bundeswettbewerbsbehörde ressortiert. Es hat bisher keine einzige parteipolitische Intervention gegeben. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass jeder weiß, dass ich unabhängig und nicht auf das Sektionschef-Gehalt angewiesen bin.

STANDARD: Davor haben Sie wohl viel mehr Geld verdient?

Barfuß: Deutlich mehr als ein Sektionschef. Und das nachhaltig. Aber lassen Sie mich weiterreden: Man ist jetzt schon draufgekommen, dass der Barfuß in der Wettbewerbsbehörde eine Unguided Missile ist: Ich berufe mich aufs Gesetz, führe Gespräche, verlange Unterlagen, mache Vernehmungen. Insofern hat die Behörde eine starke Stellung erreicht. Wir haben schon 2,4 Millionen an Bußgeldern verhängen lassen. Das spricht sich herum, die Unternehmen trauen sich nicht mehr so zu tun, als gäbe es keine Marktmacht-Kontrollore.

STANDARD: Sie verstehen sich als leibhaftige Abschreckung für Marktmissbraucher?

Barfuß: Ja.

STANDARD: Die AUA belangt die OMV wegen der Kerosinpreise. Haben Sie schon einen Versöhnungsversuch gestartet?

Barfuß: Wir recherchieren, in 14 Tagen werden wir mehr wissen und die Gespräche beginnen. Wir haben das Gefühl, dass hinter den Vorwürfen der AUA etwas Wahres steckt.

STANDARD: Die OMV-Verbund-Ehe wurde politisch vereitelt. Kommt sie irgendwann doch?

Barfuß: Ich glaube schon, jedenfalls irgendwie. Das wäre auch etwas Vernünftiges.

STANDARD: Sie haben immer betont, Sie hätten keine Feinde. Haben Sie jetzt schon welche?

Barfuß: Feinde nicht, aber Neider. Ich habe Kollegen in vergleichbaren Funktionen, die fragen mich: "Ich werde ständig gebeten zurückzutreten, du nicht. Wie machst du das?"

STANDARD: Und?

Barfuß: Ich lasse die Kirche im Dorf, habe realistische und bescheidene Ziele. Die verfolge ich aber vehement.

STANDARD: In der besonders wettbewerbsresistenten Energiebranche nützt Ihnen Ihre bescheidene Vehemenz offenbar gar nichts.

Barfuß: Oh doch: Mühsam nährt sich das Eichhörnchen. Jeder Schritt, den wir machen, dauert Monate, und sei es auch nur ein Informationsblatt, das die Versorger an ihre Kunden schicken sollen. Wir haben die Verträge durchforstet, die haben ja nicht einmal die Versorger selbst verstanden. Momentan raufen wir mit der Branche, dass sie einen Datenpool erstellt, der den Wechsel zu anderen Anbietern erleichtern soll. Für all das muss man gar kein Jurist sein: Dafür braucht es Energie, Manpower, man muss sich das ersitzen.

STANDARD: Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Schutz vor Marktmacht-Missbrauch und Interventionismus?

Barfuß: Man darf sich da nicht in den Sack lügen: je liberalisierter die Wirtschaft, desto mehr staatlicher Kontrolle bedarf es. Wir haben ja nichts davon, wenn gesetzliche Zölle, Kontingente oder Quoten wegfallen, sich die Betreffenden dann aber vertraglich auf Preise, Quoten und so weiter einigen. Das wäre das Ende jeder Liberalisierung.

STANDARD: Der Markt reguliert sich also nicht von selbst?

Barfuß: Nein, das tut er nicht.

STANDARD: Weil die Gier zu groß wird?

Barfuß: Sehr richtig, gnädige Frau! Man darf die Marktkräfte nicht völlig frei wirken lassen. Wenn man in der EU einen Binnenmarkt errichtet, braucht es eine starke Wettbewerbsaufsicht, weil sich sonst die Großen sofort wieder zusammentun, letztlich um die Kleinen unterzubuttern. Wenn sich der Staat da nicht einmischt, entwickelt sich ein freier Markt sofort wieder zu einem unfreien Markt.

STANDARD: Verboten werden Zusammenschlüsse selten. Die EU hat in den letzten 15 Jahren 2230 Übernahmen genehmigt, überall werden Unternehmen immer größer. Österreichische sind dagegen Zwergerln, selbst nach Fusionen. Wie entkommt man dem Dilemma?

Barfuß: Indem wir die Größe ermöglichen, aber die Pferdefüße eliminieren.

STANDARD: Pferde! Sind die auf den vier Bildern dort Ihre? Sie sind ja Spring- und Dressurreiter, warum beides?

Barfuß: Die zwei dort sind, besser waren, meine. Ich mache beides, weil ich war immer Generalist. Experte ist eine Beschimpfung für mich. Ich wollte nie alles ganz genau wissen, aber immer alles verstehen.

STANDARD: Beschäftigen Sie sich deshalb auch theoretisch mit Macht und Mächtigen? Sie haben Ihren Machiavelli gelesen, ein Faible für Churchill. Wer imponiert Ihnen noch?

Barfuß: Ich versuche Menschen, die weit, weit größer sind als ich, zu verstehen, zu kapieren, was sie falsch und richtig gemacht haben. Ich habe daher auch viel über Mussolini gelesen, Franco ...

STANDARD: ... Hitler...

Barfuß: Nicht so, er ist mir so z'wider. Aber wenn man die Geschichte des Franco-Regimes liest, sieht man, dass nicht alles weiß oder schwarz ist: Franco war ein eitler, sportlicher, mutiger Militarist, ein Eiferer und Abenteurer.

STANDARD: Blutiger Diktator.

Barfuß: Ja, er hat unglaubliche Dinge mitverschuldet, andererseits Hitler und die Alliierten aus dem Land gehalten, Demokratie ermöglicht. Und ist als umstrittener Mann mit blutigen Händen an Altersschwäche im Bett gestorben.

STANDARD: Lieber wieder zurück zu Ihrem Geschäft. Zur Größe, die ja schon auch fad werden kann, etwa wenn auf der Einkaufsmeile in Kuala Lumpur die gleichen Geschäfte sind wie auf der Mariahilfer Straße in Wien. Wird das Pendel jemals zurückschlagen, wird es Entflechtungen geben?

Barfuß: Ja, Größe kann fad sein. Aber an staatlich angeordnete Entflechtungen glaube ich nicht. Ganz große Gebilde werden von selbst zerfallen. Manche jedenfalls. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15.10.2006)