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Ist die jüngste Häufung von Hurrikans Folge der Klimaerwärmung? Al Gore bejaht, George W. Bush verneint.

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ZUR PERSON
Al Gore (58) zog sich 2000 nach seiner Wahlniederlage gegen George W. Bush aus der aktiven Politik zurück. Seither tingelt der frühere US-Vizepräsident (unter Bill Clinton) mit einem Dia-Vortrag über die Klimakatastrophe durch die Lande. "24"-Regisseur Davis Guggenheim hat daraus den Dokumentarfilm "An Inconvenient Truth" ("Eine unbequeme Wahrheit") gemacht. Daneben verdient sich Al Gore als Vorstand von Apple und Berater von Google ein Zubrot.

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Erderwärmung, Ozonloch, Treibhausgase, Hurrikans: Was der frühere US-Vizepräsident AL Gore in seinen Klimavorträgen bisher zum Besten gab, läuft ab jetzt als Dokumentarfilm "Eine unbequeme Wahrheit" im Kino. Mit Gore sprach STANDARD-Mitarbeiter Dieter Oßwald.

STANDARD: Ihr Regisseur Davis Guggenheim hat Sie als "tragischen Helden" bezeichnet. Sehen Sie sich selbst so?
Gore: Überhaupt nicht. Es wäre doch sehr unbescheiden, sich selbst als Held zu bezeichnen. Zudem fühle ich mich nicht als tragische Figur.

STANDARD: Fast der mächtigste Mann der Welt geworden zu sein und kurz vor dem Ziel zu scheitern, könnte man vielleicht schon als tragisch bezeichnen.
Gore: Was immer einem im Leben passiert: Man lernt daraus und versucht, das Beste daraus zu machen. Es gehört zum menschlichen Schicksal, dass wir am meisten aus schmerzhaften Erfahrungen lernen.

STANDARD: Werden Sie sich erneut zur Wahl stellen?
Gore: Ich habe es nicht vor. Ich habe mich zweimal als Präsident und zweimal als Vizepräsident zur Wahl gestellt. In dieser Zeit habe ich erlebt, dass sich das politische System verändert hat – nicht zum Besseren. Ich habe die Möglichkeit einer erneuten Kandidatur nicht völlig ausgeschlossen, aber ich erwarte nicht, dass es passiert. Ich glaube, meine Kräfte sind besser darin aufgehoben, die Menschen vor dem Klimawandel zu warnen.

STANDARD: Ihr Regisseur erzählt, dass er Sie nur schwer überreden konnte, die private Seite des Al Gore in den Film einzubauen...
Gore: Diese Idee gefiel mir zunächst überhaupt nicht. Guggenheim war gut beraten, dass er mir erst davon erzählte, als wir schon ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hatten. Er überzeugte mich schließlich damit, dass solche Elemente für einen Film unerlässlich wären – denn im Unterschied zum Vortrag mit einer leibhaftigen Person benötigt man für die Leinwand ein menschliches Element, um den Zuschauern einen emotionalen Zugang zu ermöglichen.

STANDARD: Haben Sie Präsident George W. Bush zu Ihrem Klimavortrag eingeladen?
Gore: Ja, aber er hat die Einladung abgelehnt und verlauten lassen, dass er auch den Film nicht anschauen werde. Vielleicht liest er ja unser Buch, oder seine Frau liest es...

STANDARD: Ist es nicht schon zu spät, die Erde zu retten?
Gore: Nein. Wir müssen eine klare Trennung ziehen zwischen Verdrängung und Verzweiflung. Beides wären die falschen Reaktion. Denn beides sind nur eine Entschuldigung dafür, nicht zu handeln. Die führenden Wissenschaftler sind einhellig der Meinung, dass uns noch zehn Jahre bleiben, um etwas zu verändern – innerhalb dieser Frist müssen wir etwas tun.

STANDARD: Wie stehen Sie zur Atomenergie, um den CO2-Ausstoß der Kohlekraftwerke zu verringern?
Gore: Die Lösung muss in erneuerbaren Energien und Einsparungen liegen. Atomenergie wird für die Zukunft eine beschränkte Rolle spielen. Unterstellen wir einmal, dass Reaktorsicherheit und Entsorgung technisch lösbar sind, bleibt noch der ökonomische Faktor. Die Kosten sind so hoch, dass es seit 1973 keine neuen Reaktoren in den USA gibt. Das entscheidende Problem ist allerdings die Nutzung für Atomwaffen. Nordkorea und Iran haben ihr bombenfähiges Material aus Kraftwerken – wollen wir auch noch Kambodscha oder Sudan ihre Atomwaffen geben?

STANDARD: Warum weigern sich die USA so stur, das Kioto-Protokoll zu unterzeichnen?
Gore: Kioto war sehr frustrierend für mich. Ich war an der Konferenz beteiligt, doch zuhause bin ich damit gescheitert. Im Senat bekam ich von 100 Stimmen nur eine einzige. Nicht nur die Mehrheit der Republikaner war dagegen, auch von meinen eigenen Demokraten stimmte nur einer für mich. Die Gründe sind vielfältig. Amerika verbraucht doppelt so viel Energie wie Europa, es ist dünn besiedelt, jeder benutzt also ein Auto. Zudem haben bestimmte Konzerne viel zu großen Einfluss auf die Politik.

STANDARD: Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zeigt sich wenig wandlungsfähig...
Gore: Das politische System hat mit dem Klimasystem gemeinsam, dass beide nicht linear verlaufen. Zunächst scheint es, als würden die Dinge mit der Langsamkeit eines Gletschers ablaufen. Und plötzlich ändert sich alles ganz dramatisch. Ich sehe dazu durchaus Anzeichen in den USA: Viele Wähler von Bush, darunter viele Geschäftsleute, haben inzwischen erkannt, wie wichtig der Klimaschutz ist. Vor kurzem hat mir ein Konzernchef gesagt: Zehn Minuten, nachdem Bush aus dem Amt ist, werden wir eine neue Umweltpolitik haben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.10. 2006)