Selbst wenn im Westen eine breite Mehrheit der Meinung ist, dass die Massaker an den Armeniern in der Endphase des Osmanischen Reiches den Tatbestand des Völkermordes erfüllen, wird man die türkische Bevölkerung durch die Kriminalisierung der Leugnung kaum davon überzeugen können. Als Ministerpräsident Erdogan im Vorfeld der Entscheidung sagte, "eine Lüge bleibe eine Lüge, auch wenn ein anderes Parlament etwas anderes beschließe", konnte er sicher sein, die breite Mehrheit der Bevölkerung hinter sich zu haben. Gleichzeitig versuchte Erdogan aber, die höchsten Wellen der Empörung wieder zu dämpfen. Einen Vorschlag aus seiner Fraktion, quasi im Gegenzug die französischen Verbrechen in Algerien ebenfalls zum Völkermord zu erklären, erteilte er eine klare Absage.
Trotzdem wird dieses Gesetz die Beziehungen und den Handel zwischen beiden Ländern stark beschädigen. Die Regierung hat angekündigt, ein französisch-türkisches Rüstungsgeschäft zu kippen und französische Firmen vom Bieterverfahren für ein AKW auszuschließen. Am stärksten betroffen sind aber diejenigen demokratischen Kräfte in der Türkei, die seit Jahren versuchen, die Debatte um die Armenienfrage in die Öffentlichkeit zu tragen. "Wie sollen wir künftig gegen Gesetze argumentieren, die uns verbieten, über einen Genozid zu reden, wenn Frankreich umgekehrt dasselbe tut?", sagte Hrant Dink, einer der prominentesten armenischen Intellektuellen in Istanbul.