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Andrea Eckert als Irina Nikolajewna Arkadina

FOTO: APA / HERBERT PFARRHOFER

Wien - Irina Nikolajewna Arkadina, die Hauptfigur in Tschechows Möwe, ist eine Duse der russischen Birkenwälder. Ihr Miminnenruhm, dessen Gloriole auch Sohn Kostja überstrahlt, gründet auf zweifelhaften Engagements in der Tiefe der Provinz - oder wie sind Landwirtschaftsausstellungen in den Jahren der ausgehenden Zarenherrschaft zu beurteilen?

Andrea Breth inszenierte Die Möwe vor ein paar Jahren in Berlin als klirrend kaltes Ballett von Planetenbewegungen - ein elliptisches Touchieren von unnahbaren Himmelskörpern. Auch die Arkadina (damals: Libgart Schwarz) war ein "Star" - kein Wort von Provinz. Andrea Eckert, die am Donnerstag in Hans-Ulrich Beckers Regie die Arkadina im Josefstadt-Theater gibt, habe ihrerseits "ein paar Möwen gesehen, bessere und schlechtere - aber man hat bald ein Bild fertig. Das musste ich auch im Umgang mit dem Regisseur, mit dem ich zum ersten Mal zusammenarbeite, korrigieren lernen! Das nahm die ersten Probewochen in Anspruch. Wenn ich Becker richtig verstehe, versucht er die Figuren ins 'Jetzt' herüberzuziehen und sie anzuschärfen. Es soll schräg werden, die Figuren sollen absichtlich 'verrutschen'", so Eckert.

Egozentrische Mühsal

Die Arkadina, die einen ganzen Hausstand mit Gespielen unterhält und ihren als Dramatiker dilettierenden Sohn Kostja (Florian Teichtmeister) mit Proben einer alles überziehenden Gefühlskälte bedenkt, sei im "letzten Akt eine andere als im ersten". Das hochgespannte Selbstgefühl der Diva tendiere am Ende gegen null. "Auf welcher Höhe man die Dame auch ansiedelt - sie ist zunächst auf dem Gipfel ihrer selbst. Ein Raum verdrängendes Wesen, an dem der Sohn zuschanden geht."

Es gibt da noch ein Stück im Stück: Kostja nutzt die Gunst eines Sommerabends, um die Mutter samt Entourage mit Proben eines "abstrakten" Dramas aus eigener Feder zu verwöhnen - der Abend endet für den jugendlichen Pegasus-Reiter absehbar im Desaster. "Man soll den armen Kostja nicht lächerlich machen", sagt Eckert. "Er sagt: 'Wir brauchen neue Formen!' Eine solche Forderung stünde doch auch unseren Theatern gut an, nicht wahr?" In Beckers Inszenierung nimmt man die sehnsüchtigen, am Lebensunglück würgenden Tschechow-Menschen bitter ernst. Ignoranz als Waffe, um sich Wahrheiten vom Leib zu halten - Eckert, die nach Jahren der Primadonnenrollen am Wiener Volkstheater in Herbert Föttingers "neuer" Josefstadt angekommen ist, erzählt von "Schauspielern, die Schauspieler spielen - eine interessante Brechung, die auch die Sendung des Theaters reflektiert."

Eckert bekennt, sich "manchmal schwer zu tun: Ich arbeite ja über Identifikation, das ist meist mühsam und heute auch gar nicht mehr angesagt". Sie gehört zur aussterbenden Spezies der Nervenhochseiltänzerinnen. Ihre Rollenerarbeitungen sind demgemäß schwer zu "verbalisieren". Am Josefstadt-Theater habe sie der "Unterschied zum Volkstheater" verwundert: "Es ist alles kleiner, die Sichtlinien sind fatal - egal! Föttingers Angebot kam zu einem Zeitpunkt, als ich mir überlegte, nach Berlin zu gehen. Ich hatte die Walter-Schmidinger-Dokumentation gemacht, ich dachte mir: 'Geh!' Ein Freund sagte mir seit Jahren: 'Du musst die Arkadina spielen.' Gut: Spiele ich sie in der Josefstadt!" (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.10.2006)