Nach dem Standard- Interview mit Natascha Kampusch am Mittwoch sind - neben viel professionellem Lob - bei manchem Leser Zweifel über die Legitimität von Qualitätsberichterstattung über dieses Thema aufgekommen. Für den behandelnden Psychiater Ernst Berger unverständlich: Seriöse Berichte könnten "verletzenden Fantasiebildungen" und deren medialer Verbreitung entgegenwirken.
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Wien - "Die Artikel gefallen mir gut. Auch inhaltlich bin ich mit dem Veröffentlichten voll einverstanden - und die Fotografen haben einen sehr guten Job gemacht", reagierte Natascha Kampusch am Mittwoch auf die beiden aktuellen Interviews mit ihr im Standard und im Kurier.

Wie berichtet, hatten die beiden Tageszeitungen am Montag mit Kampusch gemeinsam ein Gespräch geführt: ein Vorgehen, wie es im internationalen journalistischen Rahmen - etwa bei Interviews mit Weltstars aus der Filmbranche oder anderen Personen des öffentlichen Lebens - durchaus üblich ist.

Einnahmen gehen an Foundation

Im Vorfeld des Interviews war ein Vertrag über das Autorisierungsprozedere des Interviews abgeschlossen worden. Geld floss keines, die Erlöse aus dem Verkauf an internationale Medien gehen an Natascha Kampuschs Foundation, mit der sie etwa weiblichen Entführungsopfern in Mexiko helfen möchte.

Legitimität fortgesetzter Berichterstattung

Hier zu Lande hingegen schieden sich am Standard-Interview am Mittwoch die Geister. Im derStandard.at stellte mancher Poster gar die Legitimität fortgesetzter Qualitätszeitungsberichterstattung über die junge Frau, die nach ihrer Flucht aus achtjähriger Gefangenschaft im Keller ihres Entführers zu Weltprominenz gekommen ist, infrage.

Informationen statt Fantasiebildungen

Diesen Gedankengang kann Ernst Berger, der für den Wiener Psychosozialen Dienst (PSD) die Betreuung der jungen Frau koordiniert, nicht nachvollziehen. Originaltöne und seriös recherchierte Geschichten seien vielmehr geeignet, "sachlich korrekte Informationen zu verbreiten", meint der Psychiater, dem das Wohl Kampuschs ein Anliegen ist: Auf diese Art werde "den ins Kraut schießenden, verletzenden Fantasiebildungen" - und Medien, die diese in der Hoffnung auf "mehr Auflage" verbreiteten - entgegengewirkt. In den vergangenen Tagen hatte etwa die deutsche Illustrierte Stern Vermutungen über Verbindungen von Kampuschs Umfeld mit der Sadomaso-Szene in die Welt gesetzt.

Nicht Opfer genug

Berger macht sich auch Gedanken über die tieferen Ursachen der ambivalenten Reaktionen auf Berichte über die junge Frau. Auslösend sei die "Vielschichtigkeit" der Person Kampuschs, die sich üblichen Sichtweisen und Interpretationsmustern widersetze, meint er: "Wäre Frau Kampusch ein schwer geschädigtes Opfer, niemand würde ihre Geschichte oder auch die Beschäftigung mit ihrer Person infrage stellen."

Als "kompetente junge Frau" jedoch, die sie trotz jahrelanger Misshandlungserfahrungen geworden sei - und aufgrund des großen medialen Widerhalls - wirke die 18-Jährige verwirrend und "nicht allen sympathisch". Berger: "Die Geschichte einer acht Jahre langen Gefangenschaft mit all ihren Facetten und Folgen ist auch nur sehr schwer transportierbar."

Hype noch lange nicht vorbei

Der Hype um seine Klientin sei noch lange nicht vorbei, meint Gerald Ganzger, Natascha Kampuschs Medienanwalt. Medienanfragen kämen derzeit "aus Frankreich, aus Spanien, aus den USA". Er sei bereits, "Angebote für einen Film zu sammeln", betont der Anwalt. Gegen einen vom Trio Swiss Tenors gesungenen Kampusch-Song nach dem Vorlage des Falco-Hits "Jeanny" will er indes nicht rechtlich vorgehen. Ein Prozess würde dem Song nur Popularität verschaffen: "Frau Kampusch hält die ganze Aktion für Mist." (Irene Brickner, DER STANDARD Printausgabe 12.10.2006)