Peter Amersdorfer sieht gute Aufstiegschancen für Jungforscher in den USA. Die Kosten für die Ausbildung seien aber auch im Traumland der Forschung hoch.

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Der österreichische Immunologe Peter Amersdorfer war zehn Jahre in den USA - und hat dort an der Entwicklung von Antikörpern gegen bakterielle Kampfstoffe mitgearbeitet. Warum er nicht nur positive Erinnerungen an die USA hat, erzählte er Peter Illetschko.

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STANDARD: Was hat Sie bewogen, aus den USA, oft als Traumland der Forschung hochgelobt, mithilfe des Rückholprogramms Brainpower wieder zurück nach Österreich zu gehen, wo die Bedingungen für Forscher nicht selten kritisiert werden?

Amersdorfer: Es gab Gründe, die überhaupt nichts mit Forschung zu tun haben. Meine Frau und ich wollten unseren Sohn nicht in Amerika, sondern in einem sozialen Umfeld in Europa aufwachsen lassen. Es musste nicht unbedingt Österreich sein, aber auf Europa haben wir uns schon festgelegt.

STANDARD: Der Umkehrschluss lautet, dass es für Wissenschafter in Amerika kein soziales Umfeld gibt?

Amersdorfer: Die USA bieten hervorragende Möglichkeiten für Wissenschafter. Die Aufstiegsmöglichkeiten sind sehr gut, die Verdienstmöglichkeiten ebenso. Die Kosten für die Ausbildung aber auch. Die Mehrheit der Akademiker beginnen in den USA durchschnittlich mit einem Minus von mehr als 100.000 US Dollar. Dazu kommt: Man muss für viele soziale Errungenschaften, die in Europa verhältnismäßig günstig sind, sehr viel Geld bezahlen.

Ein Kindergartenplatz in Kalifornien kostet etwa 1000 Dollar - und das ist noch nicht einmal ein besonderer. Kinderkrippen und Ähnliches sind in den USA wichtig. Da gibt es keinen Mutterschutz von mehreren Jahren wie in Österreich. Für uns war außerdem entscheidend: Kinder sollten den Kulturkreis kennen lernen, aus dem ihre Eltern kommen.

STANDARD: Was hat Sie denn anfangs in die USA getrieben?

Amersdorfer: Ich wollte als Student immer ins Ausland, um Erfahrungen zu sammeln. Und durch das Studium am Institut für Angewandte Mikrobiologie der Universität für Bodenkultur ergab sich hier eine Chance. Das Institut hatte beste Kontakte zur University of California in San Francisco (UCSF), eine der fünf besten medizinischen Universitäten in den USA.

Nach Abschluss meiner Diplomarbeit entschied ich mich kurzerhand für eine Vertiefung in meinem Spezialfach Immunologie und startete die Doktorarbeit als Jointventure - Durchführung der praktische Laborarbeiten an dem UCSF und theoretischen Teil an der BOKU, eine damals außergewöhnliche Kombination. Ich musste keine Steuern bezahlen.

STANDARD: Wie sind Sie dann zu Ihrem zentralen Thema, der Entwicklung von therapeutischen Antikörpern, gekommen?

Amersdorfer: Ein Zufall. James Marks, Professor an dem Institut für Anästhesie und Pharmazeutische Chemie am UCSF, hat mit uns gemeinsam sein Labor gerade eröffnet. Da ging es von Anfang an um die Entwicklung von humanen Antikörpern gegen Botulismus im Reagenzglas. Das Interesse der amerikanischen Regierung war sehr groß, man stellte uns mehrere Millionen Dollar zur Verfügung. Der Grund ist klar. Das aus Botulinumbakterien gewonnene Neurotoxin wird unter anderem als biologischer Kampfstoff verwendet.

STANDARD: Warum die Entwicklung im Reagenzglas?

Amersdorfer: Wir wollten eine Alternative zum traditionelle Vorgang der Antikörpergewinnung mittels passiver Immunisierung etablieren und falls erfolgreich auch auf andere biologische Systeme wie z. B. Viren anwenden. Die Wirkung passiver Immunisierung setzt sofort ein.

Das Problem: Der derzeit eingesetzte Impfstoff basiert auf hyperimmunisierten Pferdeserum und führt in bestimmten Fällen zu erheblichen Nebenreaktionen beim Menschen - ein anaphylaktischer Schock, der ohne Behandlung tödlich ist. Wir konnten in unseren präklinischen Studien erstmals zeigen, dass ein Cocktail aus drei im Labor hergestellten Antikörpern in Tierversuchen ebenso effektiv wirkt wie ein hyperimmunisiertes Serum.

STANDARD: Forschung für das Pentagon in Ehren. Welchen Nutzen hat diese Antikörperentwicklung in friedlichen Zeiten?

Amersdorfer: Es gibt breite Anwendungsmöglichkeiten für die Laborentwicklung. Säuglinge zum Beispiel sind äußerst anfällig, deswegen sollten sie auch keinen Honig zu sich nehmen, in dem Sporen des Bakterium Clostridium Botulinum gut gedeihen. Nach neuesten Erkenntnissen in der Wissenschaft schätzt man, dass bis zu zehn Prozent der Säuglinge, die in diesem Alter Honig zu sich nehmen, erkranken.

STANDARD: Wann wird es den Impfstoff geben?

Amersdorfer: Nächstes Jahr starten klinische Studien am Menschen. In drei Jahren werden wir den Impfstoff einreichen.

STANDARD: Heute sind Sie bei einer Biotechfirma in Graz, Oridis, sie beschäftigt sich mit völlig neuen Therapien gegen Leberkrebs. Warum gerade diese Firma?

Amersdorfer: Ich hatte Angebote aus Belgien, aber auch aus Deutschland. Für Graz habe ich mich deshalb entschieden, weil Oridis vom Typus her sehr amerikanisch ist - wegen seiner international besetzten Mannschaft zum Beispiel. Außerdem war das Unternehmen nach einer Finanzierungsrunde gut aufgestellt und ich habe die Chance ergreifen können, in das Management zu gehen. Ich mache hier ja Business-Development - und kann hier meine langjährigen praktischen Erfahrungen im Drug Discovery und Development einbringen.

STANDARD: Interessiert Sie die Grundlagenforschung nicht?

Amersdorfer: Ich bin nicht der Typ dafür. Langsam etwas zu entwickeln, unabhängig, ob es umgesetzt werden kann oder nicht - das kann ich nicht. Ich habe ja deswegen auch immer in der anwendungsorientierten Forschung gearbeitet. (DER STANDARD, Printausgabe, 11. Oktober 2006)