Conny Bischofsberger, Irene Brickner, Anwalt Gerald Ganzger, Arzt Max Friedrich vor dem Interview: Rechte und Pflichten abgesteckt.

STANDARD/Cremer

Der so genannte Videoraum in der Klinik Friedrich im AKH: Das Setting muss ein halbwegs entspanntes Gespräch ermöglichen.

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Geduldig lässt sie die Sitzung mit der Visagistin über sich ergehen. Wenn sie sich schon für die Kameras schön machen soll, muss die Schminke perfekt sein. Auch wenn die Arbeit der Visagistin im Interview-Nebenzimmer deshalb eine Stunde lang dauert.

Die Fragen müssen präzise formuliert werden, zuerst via Fragenkatalog in der Vorbereitung und live dann, im Zweifelsfall, mehrfach neu ausformuliert und wiederholt: Im Medienkontakt – in diesem Fall mit zwei Zeitungsjournalistinnen und zwei Fotografen – bestimmt Natascha Kampusch genau, was passiert. Und wie es zu geschehen hat.

Frau Kampuschs Medienanwalt Gerald Ganzger – und sonst niemand – sitzt während des rund einstündigen Gesprächs im neonbeleuchteten Interviewraum mit am Tisch: offenbar ein Verbündeter und ein Garant für Vertragstreue. Institutschef Max Friedrich, Kampuschs Mutter Brigitta Sirny, Halbschwester Claudia und Frau Kampuschs Begleiter vom Wiener Psychosozialen Dienst warten derweil draußen: Jene Menschen, denen die 18-Jährige nach ihrer acht Jahre langen Einkerkerungs- und Misshandlungserfahrung vertraut. Auf die sie sich stützt, auch ganz real und körperlich, wenn sie draußen in der prallen Sonne beim Gehen wegen eines verstauchten Fußes unsicher ist. Auch die hohen Absätze ihrer Pumps sind ihr offenbar noch ungewohnt.

Vor dem Interview wurde zwischen Zeitungsvertretern und Anwälten eine drei Seiten lange Übereinkunft aufgesetzt und unterschrieben. Sie regelt die Rechte und Pflichten sowie das Autorisierungsszenario für die Texte und Fotos minutiös: Ein im österreichischen Journalistenalltag sonst nicht üblicher Vorgang, zumindest bei Qualitätsmedien wie dem STANDARD. Aber die Wucht der Geschichte, der Entführung, Einkerkerung und und spektakulären Flucht dieser klugen, scheuen und trotzdem dominierenden jungen Frau haben dem "Fall Kampusch" eine eigene, weltweite Dimension verliehen. Auch die erstaunliche Fähigkeit der 18-Jährigen, mit den harten Gesetzlichkeiten des Medienmarkts umzugehen, hat daran ihren Anteil.

Globales Interesse

Das globale Interesse an der Story reiße nicht ab, berichtet Ganzger während der Schminkvorbereitungen seiner Klientin; Friedrich gibt derweil Anekdoten über Kampusch-Fans mit Einweisungswünschen ins AKH zum Besten. Ein Mann habe gar das Tourette-Syndrom, eine Tic-Erkrankung, simuliert um seinem Idol nahe sein zu können.

Sieben Wochen nach Kampuschs Wiederauftauchen hat sich die Aufmerksamkeit im deutschen Sprachraum derweil auf Gossenniveau verlagert. Um Sadomaso- und anderen Gerüchten um Kampusch und ihre Familie, von Boulevardjournalisten bei Spendier-Achteln am Wiener Rennbahnweg erfragt, etwas entgegenzusetzen, kamen die neuen Gesprächstermine mit STANDARD und "Kurier" als seriöse Printmedien zustande. Geld fließt für diese Interviews keines, aber Natascha Kampusch hat sich vertraglich sämtliche Erlöse aus einer eventuellen Weitervermarktung der Artikel für ihre Hilfs-Foundation ausbedungen.

Und dann betritt die junge Frau den Raum, mit perfektem Make-up und perfekter Frisur, im trendigen Blumenshirt und Dreiviertelhosen. Setzt sich, begrüßt ihr Gegenüber mit Händedruck und einem kurzen, präzisen Blick. Antwortet erst leise, stockend, dann fließender. Dass ihre Antworten nicht immer gefällig sind, steht in Kontrast zu ihrem blonden, fotogenen Äußeren. Mag sein, dass dieser Widerspruch verwirrt. Aber Ehrlichkeit ist selten lieblich. (Irene Brickner, DER STANDARD, Printausgabe, 11.10.2006)