Die Kolporteure: Längst gehört ihr leuchtendes Rot-Gelb zum Farbmuster dieser Stadt. Der Film zeigt den Arbeitsalltag: Im dichten Autoverkehr, an Bushaltestellen oder in der Einöde entlegener Siedlungen. Wie mechanistisch so ein dichtes Verteilernetz in Wirklichkeit organisiert ist, sehen wir später: Mit willkürlicher Gehaltspolitik, verhörähnlichen Abrechnungen und nächtlichen Überwachungsfahrten übt der Verteilerkonzern totale Kontrolle über den Zeitungsverkäufer aus. Daneben zeigt Good News die private Seite der orientalischen Kolporteure. Hier wird der Film zur faszinierenden Entdeckungsfahrt, zum abenteuerlichen Spaziergang in Wiener Hinterhöfe und Stiegenhäuser: Die Kamera durchstreift einen Basar, zeigt eine Hinterhaus-Moschee, eine Gebetszeremonie und verweilt in desolaten Quartieren, die als „Wohnungen“ vermietet werden.

 

Man kennt diese Bilder, kennt dieses Wien jenseits von Stephansdom und Sachertorte, weiß um Wuchermieten und katastrophale Wohnverhältnisse. Aber in Good News sind diese Bilder nicht in erster Linie Beweise für das Elend unweit des Stadtzentrums, sondern sie verlangen nach dem Gegenstück, der Kehrseite des Films.

Die „Wiener“: Wie ein Fotoalbum inszeniert Seidl die Wohnzimmer der Einheimischen. In starren Tableaus von fataler Immobilität und trauriger Schönheit, begleitet von den minutiösen Schilderungen der Porträtierten. Hier sind längst die Grenzen vom „Dokumentarischen“ zum „Fiktiven“ überschritten; der Schritt von Reportage zu „melodramatischen“ Passagen ist ein kleiner geworden.

Good News ist eine Gratwanderung: Was die Wahl der Schauplätze, die „Gewalt“ der Kamera, das Vertrauen in die Kraft der Bilder betrifft. Brisantes Kino, das bereits leidenschaftliche Diskussionen ausgelöst hat. Was gäbe es Besseres? (Constantin Wulff)

Der Untertitel des Films – „Von Kolporteuren, toten Hunden und anderen Wienern“ – ist ungeschickt gewählt, eher irreführend, weil er so etwas wie eine Satire vermuten lässt. Der Verdacht drängt sich auf, Seidl habe die Angriffe, ein Nestbeschmutzer zu sein, ein Zyniker, geradezu heraufbeschworen. Good News wurde weit gehend abqualifiziert oder allenfalls halbherzig und mit vielen Einschränkungen für sehenswert befunden. Es freut mich daher, Partei ergreifen zu können. Denunziert wird hier niemand Einzelner, der Film zeigt immer die Summe des Schreckens; er entwirft ein Weltbild, weit über den ursprünglichen Ansatz hinaus, eine Sozialreportage über Kolporteure zu sein. „Verfehlung des Themas“ kam der Filmkommission gleich in den Sinn.

Sie sträubte sich, weitere Geldraten auszuzahlen, und dabei ist der Film gerade deshalb so gut und unerklärbar schrecklich, ein Lichtblick mit Einsichten von so grässlicher Leuchtkraft, dass er von der ersten bis zur letzten Minute wehtut.Mit solcher Konsequenz, mit solchem Stilwillen hat noch selten jemand im Film die furchtbare Regelmäßigkeit des Alltags, den Wahnsinn der Normalität gezeigt. Das Alltägliche, das durch Gewohnheit unsichtbar geworden war, wird zu einem Abgrund, in denmanhineinschaut. Da wird fast verstehbar, dass sich im Programmheft der eigene Verleiher beklommen von Good News distanziert und dabei gar nicht bemerkt, dass er einen bedeutenden, ergreifenden Film voll bestürzender Klarsicht in Händen hat. (Werner Herzog)

Anmerkungen zu „Good News“ von Constantin Wulff und Werner Herzog, beide Beiträge erschienen am 13. März 1991 im Rahmen einer Kritiker- Debatte im Standard.